Horst D. Deckert

Wie sich der Pharmaindustrie das böse Treiben abgewöhnen ließe? Einfach aufkaufen!

Big Pharma hat nicht erst seit der Coronakrise einen schlechten Ruf. Schon lange machen tatsachengeschwängerte Gerüchte die Runde, bei denen es zumeist um den im Geschäft eingebauten Moral Hazard geht. Dieser besteht aus dem Problem, dass sich mit der Heilung von Krankheiten weniger Geld verdienen lässt als mit deren Behandlung. Schlimmer noch, zur Neukundenakquise macht es Sinn, gesunde Menschen chronisch krank werden zu lassen – und wo fängt man da am besten an? Richtig, bei den Kindern. Die Abgründe sind tief im Geschäft, und entsprechend hoch sind die Margen. Dabei ließe sich dem Treiben mit Hilfe eines herzlich einfachen Tricks ein Ende bereiten: Die Allgemeinheit müsste die Konzerne einfach nur aufkaufen.

 

Wie viele Pharmakonzerne gibt es und wie groß sind sie?

 

Pharmaunternehmen gibt es viele, interessant für eine Umwälzung des Marktes sind allerdings nur die ganz großen. Hier die zehn größten gemessen am Umsatz und ihrem aktuellen Marktwert:

 

Umsatz
in Mrd Euro
Marktwert
in Mrd Euro
Bristol-Myers Squibb 23,4 113,7
Sanofi 25,7 99,2
Takeda 26,8 46,9
GlaxoSmithKline 28,2 74,7
Abbvie 29,7 148,7
Novartis 33,7 159,8
Merck Co. 37,3 161,4
Johnson & Johnson 37,7 329,4
Pfitzer 44,4 167,3
Roche 45,6 239,9
Gesamt 332,5 1.541

 

Wollte man den gesamten Markt kaufen, dann müssten derzeit 332,5 Milliarden Euro aufgebracht werden. Das wäre jedenfalls der theoretische Preis, da es auf praktischer Seite sicherlich zu einer Reaktion käme und die Kurse der Zielaktien stiege.

Eine Einschränkung besteht darin, dass nicht alle der gelisteten Unternehmen am offenen Markt käuflich sind. Die Anteile von Roche beispielsweise bestehen in erster Linie aus Genussscheinen, deren Publikum limitiert ist. Ähnliches gilt für einige der anderen Unternehmen in der Liste.

Da die Pharmabranche für die Eigentümer außerordentlich gewinnträchtig ist, wäre es wohl unwahrscheinlich, dass die bisherigen Eigentümer die gegebenen Strukturen für Interessenten so weit öffnen würden, dass diese dem gewinnträchtigen Treiben ein Ende bereiten könnten. Dennoch wäre es vermutlich möglich, einen ausreichenden Fuß in die Tür zu bekommen, um die Branche auf den Kopf zu stellen.

 

Einige Aktien würden ausreichen

 

Der große Vorteil einer Übernahme ist, dass in der Regel nicht die absolute Mehrheit der Aktien erworben werden muss, sondern nur eine relative Mehrheit.

Das liegt an der Aktionärsstruktur, die meist von Pensionsfonds dominiert wird, welche die vielen Kleinanleger bei weitem übertrumpfen. Den großen Spielern gehören dabei selten mehr als 5 Prozent eines Unternehmens. Dennoch reicht das meist aus für gleich mehrere Aufsichtsratsposten, da es auch für Kleinanleger Sinn macht, sich den großen anzuschließen, da diese über die notwendige Erfahrung und Kompetenz verfügen.

Es muss also lediglich eine relative Mehrheit gewonnen werden. Der Anteil am Unternehmen muss dabei so groß sein, dass er jenen der dominanten Anteilseignern unter den bisherigen Aktionären übertrifft. Wird das erreicht, dann lassen sich die eigenen Interessen im Unternehmen über die Mehrheit im Aufsichtsrat mit Dominanz verfolgen, da der Aufsichtsrat jene Stelle ist, über die das Unternehmen kontrolliert und global gesteuert wird.

Im Fall von Takeda beispielsweise gehören laut Marketwatch den zehn größten Anteilseignern insgesamt circa 17 Prozent der Aktien. Die Zielgröße für eine erfolgreiche Übernahme läge damit im Bereich von 10 Milliarden Euro.

Das ist fraglos eine Menge Geld. Dennoch geht die Summe im Ozean globaler Hilfskomplexe ziemlich unter. Für den bislang noch wohlhabenden Teil der Welt liefe die Übernahme von Takeda pro Kopf hinaus auf etwa 3 Euro, oder dem Äquivalent einer Packung Aspirin.

 

Einige Unternehmen würden ausreichen

 

Nicht nur müsste im Rahmen einer Übernahme nicht die absolute Mehrheit der Aktien gekauft werden, es würde ebenso genügen, nur einen Teil der großen Konzerne zu übernehmen. Eventuell würde sogar ein einziger dicker Fisch ausreichen, um das Kartenhaus zum Einsturz zu bringen.

Der Grund dafür liegt in den vielen Patenten, die in den Schubladen liegen und nicht zur Anwendung kommen. Auf jedes proprietäre Medikament am Markt kommen hunderte, wenn nicht gar tausende Patente auf Wirkstoffe, die diesem ähnlich sind. Das Vorgehen der Patentierung einer ganzen Wirkstoffklasse beruht darauf, dass Wettbewerber mit Hilfe des bei der Markteinführung bekannt werdenden Rezepts ähnliche Produkte mit vergleichbarem Wirkungsprinzip auf den Markt bringen könnten, falls deren Mechanismus nicht ebenso geschützt wäre.

Ohne diesen Schutz wäre es möglich, eine eventuell etwas weniger wirksame Variante zu wählen und diese zu einem Bruchteil des Preises anzubieten. Eine andere Variante wiederum besteht darin, dass manche Wirkstoffe bei einer Vielzahl von Leiden wirken. Über die Patentierung der noch ungehobenen Potenziale werden Wettbewerber von deren Erschließung abgehalten.

Wäre ein Unternehmen allerdings mehrheitlich im Besitz einer Interessengruppe, die das Ziel hat, das Treiben der Pharmaindustrie zu beenden, dann könnten diese geschützten, aber unbenutzten Wirkstoffe mitsamt ihrer Dokumentation freigegeben werden. Die rechtlich ideale Variante liefe dabei über jene der freien Software, die nur unter der Bedingung verwendet, weiterentwickelt und weiterverbreitet werden darf, wenn deren Quellcode ebenso für jeden frei zugänglich gemacht wird.

Über diesen Winkelzug ließen sich sämtliche Kellerarchive des Unternehmens heben. Sie stünden fortan Pharmaunternehmen aller Größen zur Verfügung, die daraus neue Medikamente entwickeln könnten.

Die Hebelwirkung würde dadurch verstärkt, dass manche Medikamente von Fremdanbietern auf geschützten Wirkstoffen der Konkurrenz beruhen. Wo bislang Lizenzzahlungen geflossen sind, müsste bei einer Freigabe unter den genannten Bedingungen fortan auch das Medikament der Konkurrenz freigegeben werden. Eine Kettenreaktion wäre die Folge.

 

Nicht alles Geld müsste abgeschrieben werden

 

Schließlich wäre es nicht einmal notwendig, das Geld für die Übernahme als Spende einzuwerben, die nach der erfolgreichen Zerschlagung des Zielunternehmens verloren ist.

Würden sämtliche Patente auf alle Medikamente freigegeben, dann würde der Marktwert des Unternehmens zweifelsohne sehr schnell in Richtung der Null gehen, weil es kein Alleinstellungsmerkmal mehr hat. Nimmt man sich dagegen als Primärziel vor, lediglich den unethischen Teil des Geschäfts zu beenden und nur jene Wirkstoffe und Forschungsergebnisse freizugeben, die nicht in eigenen Produkten verwendet werden, dann könnte ein Totalverlust des eingesetzten Geldes vermieden werden.

Der große Vorteil läge darin, dass einerseits die ungehobenen Schätze des Unternehmens dennoch der Allgemeinheit zu Gute kämen. Auf der anderen Seite würde sich zwar infolge der weniger anrüchtigen Geschäftspraktiken der Gewinn und damit der Marktpreis reduzieren, der Totalausfall würde aber nicht eintreten, so dass von dem Geld zur nächsten Übernahme angesetzt werden kann.

Für die angestrebten Ziele würde es aller Wahrscheinlichkeit nach genügen, die selten hohe Gewinnmarge in der Pharmaindustrie von durchschnittlich 21 Prozent auf immer noch akzeptable sieben Prozent zu senken. Die Investoren ins Gute würden dadurch einiges verlieren, doch sie stünden mit ihrem Einsatz noch immer besser da, als wenn sie das Geld beispielsweise in Bankaktien investiert hätten. Hinzu kommt selbstverständlich das gute Gewissen und die Aussicht auf eine erheblich bessere Preisleistung bei Medikamenten. Falls die Verschwörungstheorien über Big Pharma stimmen, kämen nicht zuletzt zahlreiche neue Wirkstoffe auf den Markt, die aktuell noch in geheimen Archiven schlummern. Das käme der gesamten Menschheit zugute.

Das beste daran aber ist, dass sich der Mentalitätswandel in der Pharmaindustrie völlig ohne Staat, Zwang oder illegale Mittel erzwingen ließe.

Quelle Titelbild

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