Der Waffenstillstand in Gaza trat am Freitag um 12 Uhr mittags in Kraft, nachdem palästinensische Fraktionen am Mittwochabend eine Einigung bekannt gegeben und das israelische Kabinett das Abkommen am Donnerstagabend genehmigt hatte. Die Bomben verstummten, israelische Truppen zogen sich auf die vereinbarten Linien zurück – sie behalten jedoch die Kontrolle über 53 % des Gazastreifens.
Zehntausende Palästinenser kehrten heute in den Norden zurück, entlang der Küstenstraße Al-Rashid. Der Austausch israelischer und palästinensischer Gefangener soll am Montag stattfinden – oder, wie Präsident Donald Trump erklärte, „möglicherweise am Dienstag“.
Während viele Palästinenser in Gaza das Abkommen feiern, mischt sich in die Freude die Angst, dass Israel den Genozid jederzeit wieder aufnehmen könnte.
Drop Site sprach mit fünf palästinensischen Journalist:innen – vier in Gaza, einer im Exil – über ihre Reaktionen. Ihre Antworten trafen am Donnerstag ein.
— Sharif Abdel Kouddous
Huda Skaik (Gaza-Stadt)
(Zuletzt veröffentlicht: „Living in the Remnants of Gaza City“)
Als der Waffenstillstand verkündet wurde, bebte mein Herz vor einem Gefühl, das ich fast vergessen hatte: Hoffnung. Nach zwei Jahren des Schreckens wird der Himmel zum ersten Mal seit Langem frei von Rauch und Explosionen sein – Gaza kann wieder atmen.
Der Gedanke, dass die Bomben vielleicht auch nur für einen Tag aufhören, erfüllte mich mit Erleichterung. Ich wollte glauben, dass es diesmal hält – dass wir wieder leben, wieder aufbauen, wieder ohne Angst schlafen können.
Doch mit der Freude kommt Trauer. Wenn der Krieg endet, beginnt ein anderer – ein innerer. Unsere Wunden reißen auf, wir müssen trauern, Abschied nehmen.
„Wir haben vielleicht körperlich überlebt, aber nicht geistig. Dieser Genozid lebt in uns weiter – er hat unsere Liebsten, unsere Jugend, unsere Träume verschlungen.“
Trotz allem sind wir erleichtert, dass wir in unseren Häusern bleiben dürfen, ohne ständige Vertreibung. Wir hoffen, dass dies das echte Ende ist – dass Gaza überlebt. Ich kann kaum glauben, dass ich diesen Genozid überlebt habe, der wie ein ewiger Spuk über uns lag. Möge dieser Waffenstillstand endlich dauerhaften Frieden bringen.
Abdel Qader Sabbah (Deir al-Balah, nach Vertreibung aus Gaza-Stadt)
(Zuletzt veröffentlicht: „Death Is Better Than This Life“)
Ich habe den gesamten Krieg als Journalist miterlebt – jede Phase, jeden Waffenstillstand, der kam und fiel. Der Preis war immer der gleiche: das Blut der Palästinenser, die Leiber der Unschuldigen.
Diesmal spürt man vielleicht einen Hauch von Ernsthaftigkeit, ein erstes Anzeichen einer echten Waffenruhe. Doch die Angst bleibt – dass der Krieg zurückkehrt, so wie zuvor.
Trotz des momentanen Schweigens der Waffen bleibt die Freude unvollständig. Wir haben Familien, Freunde und Häuser verloren – Orte, an denen unsere Erinnerungen lebten.
Und doch bleibt eines das Menschlichste: das Ende des Blutvergießens.
Rasha Abou Jalal (Nuseirat, nach Vertreibung aus Gaza-Stadt)
(Zuletzt veröffentlicht: „We Tried to Stay in Gaza City“)
Am Vorabend der Ankündigung saß ich mit meiner Familie in unserem Zelt. Ich folgte den Nachrichten über die Verhandlungen – tief in mir sagte eine Stimme: Diesmal gelingt es. Länder wie Ägypten, die Türkei und Katar würden es schaffen, das Abkommen durchzusetzen.
Gegen Mitternacht schliefen wir erschöpft ein. Früh am Morgen weckte mich mein Mann:
„Sie haben es geschafft – das Abkommen ist unterzeichnet.“
Ich dachte, ich träume. Dann las ich die Schlagzeilen, rief meinen Kindern zu:
„Der Krieg ist vorbei!“
Sie jubelten, tanzten um mich. Meine kleine Tochter fragte:
„Heißt das, die Bomben hören auf?“ –
„Ja“, sagte ich. „Der Tod ist vorbei.“
In diesem Moment begann es leicht zu regnen. Ich trat hinaus, öffnete meine Arme und ließ den Regen über mich fallen – als wollte er zwei Jahre Tod, Hunger und Vertreibung abwaschen.
Sara Awad (Deir al-Balah, nach Vertreibung aus Gaza-Stadt)
(Zuletzt veröffentlicht: „My Family Managed to Stay in Our Home… Until Now“)
Heute, am 9. Oktober 2025, ist der letzte Tag dieses Krieges. Ein Waffenstillstand wurde offiziell unterzeichnet. Die Nachrichten sind voller Optimismus. Aber ich fühle – nichts.
Nicht nur ich: meine Familie, Freunde, Kolleg:innen – alle empfinden dasselbe.
Vielleicht ist es Erschöpfung. Vielleicht zwei Jahre Genozid, die jede Emotion ausgelöscht haben.
Ich wollte meinen Angehörigen nichts sagen, bevor es sicher war. Sie sehnen sich so sehr nach einem Zuhause. Das Leben im Zelt ist kein Leben. Ich sprach mit anderen Familien – sie alle sagten:
„Nichts wird sich ändern. Wir bleiben hier.“
Ich bin weder froh noch traurig – nur voller Schmerz über das, was wir verloren haben: unsere Liebsten, unsere Häuser, unsere Zukunft.
Und doch: in den Straßen spürte man Erleichterung – zwei Jahre Tod gehen zu Ende. „Wir kehren zurück nach Gaza-Stadt, ich schwöre“, sagte ein Straßenverkäufer.
Niemand weiß, ob dieser Waffenstillstand hält. Aber wir beten, dass das Leben – das echte Leben – irgendwann zurückkehrt.
Hamza Salha (Limerick, Irland, seit August im Exil)
(Zuletzt veröffentlicht: „Israel Is Attacking Deir al-Balah, Gaza’s Last Standing City“)
In der Nacht, als die Nachricht kam, saß ich an meinem Schreibtisch in Irland. Ich sah die Bilder der Delegationen in Scharm el-Scheich, hörte, wie der US-Außenminister Präsident Trump zuflüsterte, dass das Abkommen fertig sei.
Ich hatte solche Schlagzeilen zu oft gesehen. Hoffnung und Enttäuschung wechselten sich ab. Diesmal wollte ich sicher sein, dass es wirklich stimmt.
Doch selbst jetzt, 24 Stunden später, zweifle ich. Krieg ist ein Teil unseres Lebens geworden. Ich traue weder der israelischen Regierung noch Trump.
„Wer sagt, der Krieg endet, sobald die Bomben schweigen?“
Wer bringt meinen Freund Yahya zurück, den die Besatzung getötet hat? Wer heilt meinen Körper, mein Land, meine Familie? Wer gibt uns die Olivenbäume zurück, die einst unseren Hof füllten?
Vielleicht gibt es nur einen Trost: dass der Strom des Blutes stoppt – wenigstens für jetzt.
Aber das Leid, das dieser Krieg gesät hat, wird bleiben. Es ist eine Krankheit, die in den Herzen der Palästinenser lebt und weitergegeben wird. Was in Gaza geschah, war der Versuch, uns auszulöschen.
Ich hoffe, eines Tages zurückzukehren – in ein freies Land, in dem Gaza wieder lebt. Hier in Irland ist alles schön, aber nichts gehört zu mir. Nicht einmal die Musik von Fairuz klingt hier so wie zu Hause.
„Verflucht sei die Besatzung.“