Horst D. Deckert

Die Demontage eines Wirtschaftsstandorts: Jobkahlschlag erschüttert Deutschland

Es vergeht kaum mehr ein Tag, an dem nicht eine Meldung eines größeren Unternehmens kommt, welches Arbeitsplätze oder ganze Standorte in Deutschland abbauen will. Insbesondere die deutsche Industrie leidet unter den gegenwärtigen Bedingungen. Das sind Jobs, die nicht so leicht zu ersetzen sind.

Der deutsche Arbeitsmarkt steht vor dem größten Einbruch seit den 1970er Jahren. Was mit einzelnen Hiobsbotschaften begann, hat sich zu einer Lawine entwickelt, die niemand mehr ignorieren kann. Allein in den vergangenen Monaten wurden Pläne für den Abbau von rund 80.000 Arbeitsplätzen bekannt – und das bei namhaften Arbeitgebern, die einst als Garanten deutscher Wirtschaftskraft galten.

Besonders dramatisch gestaltet sich die Situation in der einstigen Vorzeigebranche Deutschlands: dem Automobilsektor. Hier ist die Liste der Stellenstreichungen so lang wie besorgniserregend. VW, der größte Automobilhersteller Europas, plant bis 2030 nicht weniger als 35.000 Stellen zu streichen. Seine Tochter Audi wird 7.500 Arbeitsplätze bis Ende 2029 abbauen. Bei der VW-Softwaretochter Cariad fallen 1.600 der insgesamt 5.900 Arbeitsplätze weg – und das “relativ kurzfristig”, wie es in den nüchternen Unternehmensmitteilungen heißt.

Ford, einst Symbol der industriellen Stärke am Rhein, wird am Standort Köln innerhalb der nächsten drei Jahre seine Belegschaft um 2.900 Mitarbeiter reduzieren – von bislang 11.500 auf dann nur noch 8.600 Beschäftigte. Auch die Zulieferer stehen unter massivem Druck: ZF-Friedrichshafen, eines der größten Unternehmen dieser Branche, plant bis zu 14.000 Stellen in Deutschland abzubauen. Schäffler folgt diesem Trend und streicht weitere 2.800 Jobs.

Der Verband der Automobilindustrie (VDA) nennt als Ursachen einen giftigen Cocktail aus schwächelnder Konjunktur, internationalem Wettbewerbsdruck und dem politisch forcierten Umstieg auf die Elektromobilität. Letztere hat einen entscheidenden Effekt: E-Autos sind in ihrer Konstruktion schlichter als Verbrenner und erfordern entsprechend weniger Arbeitskraft in der Produktion. Bis 2035 könnten allein dadurch etwa 190.000 Arbeitsplätze am Industriestandort Deutschland unwiederbringlich verloren gehen.

Krise erfasst alle Kernbranchen der deutschen Wirtschaft

Während in der Automobilindustrie der technologische Wandel zumindest als Mitverursacher ausgemacht werden kann, kämpfen andere Branchen gegen ein ganzes Bündel struktureller Probleme: Die anhaltende Rezession, exorbitante Energiepreise, hohe Unternehmenssteuern und eine erdrückende Bürokratie belasten nahezu alle Wirtschaftszweige. Bei Siemens, einst Leuchtturm deutscher Ingenieurskunst, fallen allein an deutschen Standorten 2.850 Jobs weg.

Die Stahlindustrie befindet sich in besonderer Bedrängnis. Zu den bereits genannten Faktoren kommen hier noch die von US-Präsident Donald Trump verhängten Zölle hinzu. ThyssenKrupp plant in seiner Stahlsparte von insgesamt 27.000 Stellen nicht weniger als 11.000 bis 2030 auszulagern oder komplett zu streichen. Ein deutscher Produktionsstandort wird geschlossen, ein weiteres Werk steht zum Verkauf. Bei Bosch, einem weiteren industriellen Schwergewicht, werden bis 2032 rund 7.000 Arbeitsplätze in Deutschland wegfallen.

Die einst stolze deutsche Chemieindustrie kann ihre internationale Wettbewerbsfähigkeit angesichts der hiesigen Energiepreise kaum noch aufrechterhalten. BASF, der weltgrößte Chemiekonzern, reagiert mit drastischen Maßnahmen und wird in seinem Stammwerk Ludwigshafen jede siebte Anlage schließen. Bei Evonik fallen von weltweit 33.000 Arbeitsplätzen 2.000 weg. Selbst die Finanzbranche bleibt nicht verschont: Die Deutsche Bank wird noch in diesem Jahr etwa 2.000 Stellen streichen und eine “signifikante” Anzahl ihrer Filialen dichtmachen.

Die offiziellen Zahlen unterstreichen den Ernst der Lage. Im September 2024 ging die Zahl der Arbeitsplätze im verarbeitenden Gewerbe um 81.000 zurück – der höchste monatliche Verlust des gesamten Jahres. Bei der Zeitarbeit, oft ein Frühindikator für kommende Entwicklungen am Arbeitsmarkt, sank die Beschäftigung um 73.000 Stellen. Der bisherige Negativ-Höchststand war im Juni 2024 mit 76.000 verlorenen Arbeitsplätzen erreicht worden.

Wirtschaftsexperten sind sich weitgehend einig, dass drei strukturelle Probleme für diese bedrohliche Entwicklung verantwortlich sind:

  • Erstens: Die Energiekosten in Deutschland liegen im internationalen Vergleich auf einem nicht mehr wettbewerbsfähigen Niveau. Prof. Friedrich Heinemann vom renommierten ZEW Mannheim weist darauf hin, dass ein rasches Absinken der Preise nicht zu erwarten sei. Subventionen, wie sie von Teilen der Politik gefordert werden, würden lediglich die Symptome lindern, nicht aber die Ursachen bekämpfen.
  • Zweitens: Die Arbeitskosten haben in Deutschland ein Niveau erreicht, das nur noch von Belgien übertroffen wird. In diese Kategorie fallen neben den direkten Lohnkosten auch Steuern und die stetig steigenden Sozialabgaben. Prof. Heinemann bezeichnet die deutschen Arbeitskosten als “extrem hoch” – ohne dass dem eine entsprechend höhere Produktivität gegenüberstünde. Die logische Konsequenz: Internationale Konzerne mit Standorten in verschiedenen Ländern bauen in Krisenzeiten zuerst in Deutschland Arbeitsplätze ab.
  • Drittens: Die deutsche Bürokratie erstickt jede unternehmerische Initiative im Keim. Internationale Vergleichsindizes belegen, dass Deutschland zu den am stärksten regulierten Industrienationen zählt. Diese Überregulierung betrifft alle Teilnehmer am Arbeitsmarkt und verhindert die dringend notwendige Anpassungsfähigkeit der Wirtschaft.

Diese ungünstigen Rahmenbedingungen haben in Kombination mit globalem Wettbewerbsdruck, der anhaltenden Energiekrise und dem technologischen Wandel zu einer gefährlichen Mixtur geführt: sinkende Auftragslage, überproportional hohe Kosten, bürokratisch erschwerter Strukturwandel und dramatische Überkapazitäten. Bereits seit zwei bis drei Jahren reicht die Auslastung deutscher Produktionsstätten nicht mehr aus, um die Beschäftigungszahlen zu halten.

Was vor Jahren noch undenkbar schien, ist heute traurige Realität: Deutschland, einst die “Lokomotive Europas”, fällt im internationalen Wettbewerb immer weiter zurück. Die aktuellen Stellenstreichungen sind nur die sichtbare Spitze eines Eisbergs struktureller Probleme, die den Wirtschaftsstandort in seinen Grundfesten erschüttern. Ohne ein rasches Umsteuern in der Wirtschafts-, Energie- und Steuerpolitik droht Deutschland der dauerhafte Verlust seiner industriellen Basis – mit verheerenden Folgen für den gesellschaftlichen Wohlstand. Mit CDU und SPD wird es dieses Umsteuern jedoch nicht geben.

Mein neues Buch ist da: “Im Zensurwahn – Die Aushöhlung von Freiheit und Demokratie“.

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