Horst D. Deckert

Zensur: Von „COMPACT“ und der Kontinuität der Willkür

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Zensur: Von „COMPACT“ und der Kontinuität der Willkür

Das „COMPACT“-Verbot ist nur ein Symptom eines gesellschaftlichen Umbaus. Dabei sollten Politiker aus der Geschichte gelernt haben, dass Autoritarismus gegen Oppositionelle nie dauerhaft funktioniert.

von Thorsten Hinz

„Was wir von der Gesellschaft und ihrer Welt wissen, wissen wir fast ausschließlich durch die Massenmedien“, schrieb der Soziologe Niklas Luhmann. Ein unabhängiger Medienpluralismus ist deshalb das Kernelement einer Öffentlichkeit, die den Namen verdient. Er bezeichnet jene Sphäre, in der Menschen im Vollbesitz ihrer Meinungs-, Informations- und Debattierfreiheit zusammenkommen, um die Angelegenheiten des Gemeinwesens zu beratschlagen, ihre Interessen einzubringen und um politische Lösungen zu ringen.

Das Verbot der Zeitschrift COMPACT verleiht dem Strukturwandel der Öffentlichkeit neues Tempo. Die Inhaber der Staatsmacht üben Zensur aus und zerschlagen ein fundamentaloppositionelles Medium. Sie haben keine Scheu mehr, über das postdemokratische System hinaus in die repressive Phase des Maßnahmenstaates einzutreten, die Normen des Rechts- und Verfassungsstaates ins Gegenteil zu verkehren. Die Öffentlichkeit droht zum Kasernenhof zu verkommen.

Damit scheint sich eine Zeitschleife zu vollenden. Vor fast genau 250 Jahren, am 2. Juli 1774, schrieb der Dichter und Publizist Christian Friedrich Daniel Schubart in der Vorbemerkung zu seiner Deutschen Chronik: „Ein verzweifelter Entschluß ist’s, in unseren hyperkritischen Tagen ein Wochenblatt zu schreiben, der bei der zahllosen Menger anderer noch Leser finden soll.“ Doch der „schläfrige Ton der meisten Zeitungsverfasser, der in schwülen Tagen so manchen Politiker im Großvaterstuhl in Schlummer wiegt“, gaben ihm die Verpflichtung auf. Neben den wirtschaftlichen Risiken war er sich auch persönlicher Gefahren bewußt. Sie gingen vom „Staatszensor“ aus, denn „wer noch nach dessen weise Verfügung eine Unwahrheit begeht, dem wird die Nase abgeschnitten“.

„COMPACT“-Verbot erinnert an vergangen geglaubte Zeiten

Dennoch propagierte Schubart die Aufklärung, schrieb gegen den Aberglauben und fürstliche Mätressenwirtschaft an. Seine Nase verlor er zwar nicht, doch zehn Jahre seiner Freiheit. Im Januar 1777 wurde er auf Veranlassung von Herzog Carl Eugen aus der Freien Reichsstadt Ulm auf württembergisches Territorium gelockt, verhaftet und für zehn Jahre in der Festung Hohenasperg eingekerkert. Schubart habe, hieß es im Haftbefehl, es „in der Unverschämtheit so weit gebracht“, daß „fast kein gekröntes Haupt und kein Fürst auf dem Erdboden sei“, den er nicht in seinen Schriften „auf das frevlichste angetastet“ habe. Zu einem regulären Prozeß kam es nie. Was Recht und Gesetz war, bestimmte der adelige Machthaber.

Zwar wurde COMPACT-Chef Jürgen Elsässer weder auf den Hohenasperg noch nach Stammheim verbracht, und der Anblick vermummter Polizisten, die, statt Messerstecher, Kopftreter und Drogenhändler zu jagen, Büromöbel aus dem Haus schleppen, hat sogar etwas Komisches. Entscheidend aber ist die Kontinuität der Willkür, die einst im Vor- und jetzt im Spätstadium der Pressefreiheit exekutiert wurde.

Die gesetzlich verbriefte Pressefreiheit in Deutschland datiert auf das Jahr 1815. In Artikel 18, Absatz D, der Akte des Deutschen Bundes hieß es: „Die Bundesversammlung wird sich bey ihrer ersten Zusammenkunft mit Abfassung gleichförmiger Verfügungen über die Preßfreyheit und die Sicherstellung der Rechte der Schriftsteller und Verleger gegen den Nachdruck beschäftigen.“ Das bedeutete eine erste Einschränkung der monarchischen Arkanpolitik, denn die politischen Entscheidungen und handelnden Personen im Staat waren künftig der öffentlichen Erörterung unterworfen.

Der Mord an August von Kotzbue als Wendepunkt

Jedoch währte diese Phase nur kurz. Der politische Mord an dem Schriftsteller August von Kotzbue und weitere Exzesse in deutschen Städten führten 1821 zu den Karlsbader Beschlüssen, die unter anderem eine Vorzensur für Druckerzeugnisse vorsahen, die weniger als 20 Bögen (320 Seiten) umfaßten. Ihr Spiritus rector war der Schriftsteller Friedrich von Gentz, die rechte Hand des österreichischen Staatskanzlers Klemens Wenzel Lothar von Metternich und ein Anhänger des englischen Philosophen Edmund Burke. Burke war ein scharfer Gegner der Französischen Revolution gewesen und hatte für eine evolutionäre Entwicklung der Gesellschaft plädiert.

Golo Mann hat die Karlsbader Beschlüsse in seiner 1947 erschienenen Gentz-Studie milde beurteilt. Im Grunde seien sie ein „Schlag ins Wasser“ gewesen. Zeitgenossen empfanden sie weniger harmlos. E.T.A. Hoffmann, der auch ein preußischer Kammergerichtsrat war, hat in der Erzählung „Meister Floh“ den Büttelgeist des Zensors karikiert. Er heißt hier Knarrpanti und vertritt den Standpunkt, daß, wenn erst einmal der Verbrecher dingfest gemacht worden ist, sich auch ein dazugehöriges Verbrechen findet. In den Notizen eines festgesetzten Studenten findet er das Wort „mordsfaul“, woran er die Überlegung knüpft, ob es wohl eine verderbtere Gesinnung geben könne als jene, die bedauert, zu faul gewesen zu sein, einen Mord zu begehen. Erinnert diese Knarrpanti-Logik nicht an die aktuelle Hermeneutik des Verfassungsschutzes?

Die gesellschaftlichen Folgen der Zensur hat der österreichische Dichter Anton Alexander Graf von Auersper alias Anastasius Grün in dem 1831 erschienenen Gedichtband „Spaziergänge eines Wiener Poeten“ festgehalten: „Seht, sie haben an das Rathaus aufgeklebt ein neu Edikt,/ drauf aus den geschlungenen Lettern noch man andre Schlinge blickt./ Ein possierlich kleines Männlein liest’s und hält sich still und stumm,/ unterfängt sich nicht zu murren. Leise frägt es nur: Warum?“ Das Leben erstarb in der Tautologie des Bestehenden. Der Publizist Ludwig Börne faßt das in seiner einfühlsamen Rezension in die Worte: „Und darum ein Volk zum Steine machen, daß es als Grabstein über gestorbene Völker prange!“

Zensur von Medien war ein großer Fehler Bismarcks

Die Tautologie wurde aufgestört durch Revolutionen, Staatsgründungen, wirtschaftliche und soziale Umwälzungen. 1874 wurde das Reichspressegesetz verabschiedet, das die Pressefreiheit grundsätzlich zusicherte, dem Staat aber viele Eingriffsmöglichkeiten einräumte. Der Kulturkampf gegen die katholische Kirche und das 1878 beschlossene Sozialistengesetz, die beiden großen Sündenfälle Bismarcks, führten zusätzlich zu schweren Mißbräuchen. Bis Ende Juni 1879 wurden 217 SPD-nahe Vereine, 127 periodische und 278 nicht-periodische Druckschriften verboten, darunter das Parteiorgan Vorwärts. Im Laufe der Jahre gewann die Presse jedoch an Selbstbewußtsein und nahm auch höchste Kreise des Reiches ins Visier, wie die Eulenburg- oder DailyTelegraph-Affäre zeigten.

In der Weimarer Republik sah das Republikschutzgesetz, das 1922 nach der Ermordung von Außenminister Walther Rathenau beschlossen wurde, Einschränkungen der Presse- und Meiungsfreiheit vor. So machte sich strafbar, „(w)er öffentlich oder in einer Versammlung die verfassungsmäßig festgestellte republikanische Staatsform des Reichs oder eines Landes beschimpft oder dadurch herabwürdigt, daß er Mitglieder der republikanischen Regierung des Reichs oder eines Landes beschimpft oder verleumdet (…).“ Die Paragraphen 20 bis 22 regelten das Verbot und die Beschlagnahme von Druckerzeugnissen, die allerdings zeitlich befristet blieben. Bei Tageszeitungen betrug das Maximum vier Wochen, sonst sechs Monate. Diese Eingriffe verstießen gegen die Verfassung, weshalb der Reichstag mit Zwei-Drittel-Mehrheit ausdrücklich eine „Verfassungsdurchbrechung“ durchsetzte.

Die nach dem Reichstagsbrand erlassene Notverordnung setzte die Grundrechte offiziell außer Kraft. Die Linkspresse wurde verboten, die übrigen Presseorgane unterlagen der „Gleichschaltung“. Im Oktober 1933 trat das Schriftleitergesetz in Kraft. Paragraph 14 enthielt die Verpflichtung, aus den Zeitungen „alles fernzuhalten“, was irgendwie dem NS-Staat widersprach. Wer im Medienbereich tätig sein wollte, mußte der Reichspressekammer angehören. Sie unterstand dem Propagandaministerium als eine Unterkammer der Reichskulturkammer. Die Presse wurde als Instrument des Maßnahmenstaates verpflichtet. Sie hatte die NS-Politik dem Volk näherzubringen, nicht zu hinterfragen oder gar zu beanstanden. Aus taktischen Gründen wurden gewisse Nischen geduldet – und ausgefüllt.

Die DDR zensierte den Begriff „Zensur“

In der DDR garantierte Artikel 27 der Verfassung vordergründig die „Freiheit der Pesse, des Rundfunks und des Fernsehens“ sowie das Recht eines jeden Bürgers, „seine Meinung frei und öffentlich zu äußern“. Allerdings unter der Voraussetzung, daß dies gemäß „den Grundsätzen dieser Verfassung“ geschah. Artikel 1 aber schrieb die unumstößliche Oberhoheit der „marxistisch-leninistischen Partei“, also der SED, fest. Wer sie in Frage stellte, hatte jegliche Freiheit verwirkt.

Der belastete Begriff „Zensur“ wurde sorgsam vermieden, man sprach vom „Druckgenehmigungsverfahren“. Als sich 1979 mehrere Schriftsteller mit einem Protestschreiben an Regierungschef Erich Honecker wandten, in dem es hieß: „Durch die Koppelung von Zensur und Strafgesetzen soll das Erscheinen kritischer Werke verhindert werden“, wurden sie vom Präsidenten des Schriftstellerverbandes, Hermann Kant, zurechtgewiesen: „Der Ausdruck ‘Zensur’, Herrschaften, ist besetzt (…) Wer die staatliche Lenkung und Planung auch des Verlagswesens Zensur nennt, macht sich nicht Sorgen um unsere Kulturpolitik – er will sie nicht.“ Die Zensur war real und zugleich ein Tabu.

Wichtiger und prägender als einzelne Verbote und Zensurmaßnahmen, die es in der Bonner Republik gab, erscheint ein Phänomen, das der Schrifsteller Hans Magnus Enzensberger als „Bewußtseinsindustrie“ analysierte. Der Philosoph Jürgen Habermas griff das Wort in seiner 1962 erschienenen Habilitationsschrift „Strukturwandel der Öffentlichkeit“ auf. Die „Öffentlichkeit“ sei eine Errungenschaft des bürgerlichen Zeitalters gewesen und mit ihm an sein Ende gekommen. Entscheidungen würden nun in die Verwaltung verlagert, Parteien, Verbände, Vereine setzten ihre Interessen „ohne Umweg über die institutionalisierten Verfahren der politischen Öffentlichkeit“ durch und betrieben dafür um so intensiver „Öffentlichkeitsarbeit“ – vulgo: PR oder Propaganda.

Die Schärfe der Maßnahmen korrelieren mit der Schlechtheit der Zustände

Die Medien seien darin eingebunden. Habermas konstatierte eine auf sich selbst geworfene Wende: „Einst mußte Publizität gegen die Arkanpolitik der Monarchen durchgesetzt werden: sie suchte Person oder Sache dem öffentlichen Räsonnement zu unterwerfen und machte politische Entscheidungen vor der Instanz der öffentlichen Meinung revisionsfähig. Heute wird Publizität umgekehrt mit Hilfe der Arkanpolitik der Interessenten durchgesetzt: sie erwirbt einer Person oder Sache öffentliches Prestige und macht sie dadurch in einem Klima nicht öffentlicher Meinung akklamationsfähig.“

62 Jahre später klingen diese Festellungen harmlos. Sie sind aber ausbaufähig. Akklamationsfähigkeit, das heißt Zustimmungfähigkeit, wird heute durch künstlich erzeugte Hysterieschübe erreicht. Scharf in den Blick zu nehmen wären die Oligarchisierung des Politikbetriebs und die Herausbildung eines politisch-medialen Komplexes sowie das Wirken multinationaler Konzerne und transnationaler Großorganisationen. Metternich hatte aus Furcht vor neuen europäischen Bürgerkriegen lediglich eine reaktionäre Politik betrieben. Die Transformationen, die heute propagiert werden, hingegen weisen totalitäre Züge auf – und wollen noch mehr.

Medien, die sich daran nicht beteiligen, waren schon seit jeher von indirekten Zensurmaßnahmen betroffen: von Kontokündigungen, vom Damoklesschwert des Verfassungsschutzes, von der uferlosen Ausweitung des Delikts „Volksverhetzung“, von Restriktionen im Internet. Proportional zur zunehmenden Lebensfeindlichkeit der Transformation werden nun die Wucht und die Schärfe der staatlichen Maßnahmen gesteigert.

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