Horst D. Deckert

Das Kanzleramt in Gütersloh oder: Wie Merkel lernte, Liz Mohn zu lieben

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Das Kanzleramt in Gütersloh oder: Wie Merkel lernte, Liz Mohn zu lieben

Die Bertelsmann-Stiftung in Gütersloh. Seit Jahrzehnten degradiert der Medienkonzern die Protagonisten der deutschen Regierung geschickt zu Statisten und zieht im Hintergrund die Fäden auf dem politischen Parkett.

von Gerold Keefer

Immer wenn die Republik in schwierigen Zeiten schlechten Rat braucht, steht eine Phalanx an üblichen verdächtigen Stiftungen bereit, um Politik und Öffentlichkeit in die Richtung der gewünschten “Lösungen” zu dirigieren. “Politische Vorfeldarbeit” nennt sich das. Da ist zum Beispiel die Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), die Anfang der sechziger Jahre auf Anregung von Henry Kissinger durch Schlapphüte des Bundesnachrichtendienstes (BND) initiiert wurde. Knapp zwei Jahrzehnte zuvor hatten die teils noch dem GröFaZ gedient.

Seit dem Angriff der Hamas wird uns von der SWP aktuell Guido Steinberg als medialer Experte präsentiert, der uns nach acht Jahren unkontrollierter und meist muslimischer Einwanderung endlich über die Gefahren des islamistischen Terrorismus aufklären darf. Man hätte sich diesen laut vernehmbaren Expertenrat im öffentlich-rechtlichen Rundfunk vor acht Jahren gewünscht; damals aber waren andere “Lösungen” gefragt. “Eine sichere, würdevolle und permanente Rückkehr Geflüchteter nach Syrien ist heute und auf absehbare Zeit nicht möglich”, schreibt Steinbergs Kollegin von der SWP, Muriel Asseburg, noch 2019 in der “Zeit“. Aha – eine “würdevolle Rückkehr” muss es also schon sein, bevor der deutsche Steuerzahler etwas entlastet werden darf!

Juwel am deutschen Stiftungshimmel

Nach diesem kleinen Abstecher wollen wir aber zügig auf das Juwel am deutschen Stiftungshimmel eingehen, auf die Stiftung der Stiftungen: Bertelsmann! Von der Bertelsmann Stiftung gibt es auch dieser Tage wieder Neues zu berichten – und das bedeutet im Fall von Bertelsmann zumeist in Form einer Studie, die oft bei irgendeiner Universität in Auftrag gegeben wird und somit wissenschaftlich tunlichst solide daherkommt. Diesmal sind zwei Professoren aus Hildesheim und eine Dozent von der Uni Duisburg-Essen zum Zuge gekommen. “An den Grenzen? Ausländerbehörden zwischen Anspruch und Alltag” lautet der Titel des Werks, dass im Outfit der Stiftung daherkommt. Und ja, für eine hervorragende graphische Aufarbeitung des deutschen Zuwanderungswahnsinns des letzten Jahrzehnts auf Seite 11 muss man die Autoren ganz ausdrücklich loben. Eine bessere und transparentere Darstellung habe ich bisher nirgendwo gefunden.

Allerdings würde sich wahrscheinlich trotzdem niemand für diese Veröffentlichung interessieren, käme sie nicht aus dem Hause Bertelsmann. Denn damit ist garantiert, dass etliche Zeitungen, Rundfunk und Fernsehen wie auf Kommando in dicken Lettern darüber berichten. Eine jahrzehntelang eingeübte Dressur kommt hier zur Ausführung. Viele andere vergleichbar gute Studien dienen hingegen als Regalbeschwerer und Staubfänger. Dabei gibt diese Studie gar nicht allzu schlechten Rat. Dass allerdings jede Ausländerbehörde bei unbegrenzter Zuwanderung (siehe Seite 11!) irgendwann an Kapazitätsgrenzen stößt, wird hier eher nur beiläufig erwähnt. Mehr wär in diesen Zeiten politisch wohl auch nicht opportun. Der nachfolgende Teil dieses Beitrags stellt die Übernahme eines Kapitels aus der Merkel-Biographie “Die Kanzlerin, die aus der Kälte kam dar, welcher der Stiftung der Stiftungen, Bertelsmann, gewidmet ist.

Euro, Hartz-IV, Migration “Made in Gütersloh

Natürlich ist das alles Zufall: Nahezu zeitgleich entstehen Mitte der siebziger Jahre in Bonn und Gütersloh zwei große moderne Verwaltungsgebäude mit jeweils rund dreißigtausend Quadratmetern Nutzfläche. Zwei nüchterne Zweckbauten sind es, beide mit Flachdach und beide nur bescheidene drei Stockwerke hoch. An eine „etwas zu groß geratene Sparkassenfiliale“ fühlt sich der Hausherr in Bonn erinnert. Der heißt Helmut Schmidt und ist Bundeskanzler. Der Hausherr in Gütersloh ist Reinhard Mohn, der Chef des Bertelsmann Verlags und der angegliederten Bertelsmann Stiftung. Es ist müßig, den Einfluss von Bertelsmann auf die deutsche Politik quantifizieren zu wollen. Aber weder die Hartz-IV-Reformen noch die Masseneinwanderung ab dem Jahr 2015 wären ohne Konzeption und Kommunikation aus Gütersloh nicht so reibungslos in Gang gekommen, wie wir es erlebt haben. Gleiches lässt sich für über das Euro-Projekt sagen. Wenigstens ein Teil des deutschen Kanzleramts steht de facto in Gütersloh.

Die 17-jährige Angestellte Elisabeth Beckmann arbeitet erst wenige Wochen bei Bertelsmann, als es bei einer feucht-fröhlichen Betriebsfeier 1958 zu einem bedeutsamen Zusammentreffen mit dem Firmenchef kommt. Sie wird in den Jahrzehnten danach von Patriarch Reinhard Mohn in einer Scheinehe mit Schein-Ehemann Joachim Scholz geparkt, der als Lektor und Herausgeber für den Verlag arbeitet. Drei Kinder kommen in dieser Zeit zur Welt, deren Vater jedoch nicht Scholz, sondern Mohn ist. Das erfahren die Kinder erst Jahre später. Sie werden schließlich von Reinhard Mohn adoptiert. Es dauert geschlagene vierundzwanzig Jahre, bis Elisabeth Scholz, geborene Beckmann, 1982 endlich zur offiziellen Frau von Reinhard Mohn aufsteigt und sich in Liz Mohn verwandelt. Der Eheschließung hing die Scheidung Mohns von seiner ersten Frau, Magdalene Raßfeld, voraus, und dieser Scheidung wiederum 1978 der Tod von Mohns Mutter Agnes. Zwei der drei Kinder von Liz sind in Konzern und Stiftung in Vorstandspositionen tätig.

Verbale Masturbation vor Publikum

Wenn es so etwas wie eine verbale Masturbation vor Publikum gibt, dann wird diese am 10. Oktober 2003 – jedenfalls nach Meinung einiger Beobachter -von Liz Mohn im Rahmen einer Laudatio auf Angela Merkel vollzogen. Mohn überhäuft darin Merkel so sehr mit beinahe intimen Komplimenten und Schmeicheleien (“Wer ihr gegenübersteht erkennt, da sind keine kalten Augen, im Gegenteil, da ist viel Wärme“), dass Journalistenlegende Manfred Bissinger es unverblümt „eine Liebeserklärung“ nennt und die Frage stellt „Was ist nur bei Bertelsmann los?“ Die Autoren Böckelmann und Fischler sehen darin „die letzte öffentliche Schamgrenze, die der Lobbyismus auf Gegenseitigkeit in der Bundesrepublik bisher noch hatte“, überschritten. Eine verbale Selbstbefriedigung deutet auch die “Berliner Zeitung” an: „Im Grunde schreibt Liz Mohn über Liz Mohn. Angela Merkel kam da gerade recht.

Ungerührt blieb Merkel von den Avancen allerdings nicht. Es gibt offenbar eine jahrelange innige Freundschaft, die vermutlich schon in den neunziger Jahren beginnt. Bereits am 12. Februar 2003 stellt Merkel eine Buch des Patriarchen Mohn in Gütersloh vor. Im Jahr 2007 hält sie am gleichen Ort die Laudatio bei der Verleihung des Carl-Bertelsmann-Preises an eine britische Stiftung. Inhaltlich ist ihre Rede auf dem Niveau einer Kinderstunde angesiedelt, doch niemand erlaubt sich einzuschlafen. Die zwischenzeitlich in “Reinhard Mohn Preis” unbenannte Auszeichnung erhält im Jahr 2016 Merkels guter alter Bekannter Klaus Schwab vom Weltwirtschaftsforum. Als Mohn 2009 stirbt, reist Merkel persönlich zum seelsorgerischen Gespräch mit der Witwe an.

Enormer Einfluss auf die nationale und internationale Politik

Durch die Bertelsmann Stiftung üben das Ehepaar Mohn und seine Nachkommen seit Jahrzehnten einen enormen Einfluss auf die nationale und internationale Politik aus. Politisches Personal, von Roman Herzog bis Joachim Gauck, von Henry Kissinger bis Helmut Schmidt, gibt sich in Gütersloh die Klinke in die Hand. Internationale Spitzenpolitiker veröffentlichen im gleichnamigen Verlag ihre Bücher oder werden zu Preisverleihungen eingeflogen. Seine gelungene kritische Analyse der Stiftung überschreibt der Journalist und Autor Thomas Schuler nicht ohne Grund mit ‚Bertelsmannrepublik Deutschland‘. Über Kontaktleute wie Horst Teltschik und Werner Weidenfeld ist zusätzlich ein massiver Einfluß der amerikanischen Regierung gegeben. Bei Teltschik ist Ende der achtziger Jahre jedenfalls nicht für jeden immer ganz klar, ob er mehr auf Helmut Kohl oder George Bush senior hört.

Nach zwei Jahren als Geschäftsführer bei Bertelsmann wird Teltschik 1993 Vorstand bei BMW sowie der BMW-nahen Herbert-Quandt-Stiftung. Ab 1999 leitet er für fast ein Jahrzehnt die Münchner Sicherheitskonferenz, dem jährlichen Treffpunkt von Waffenindustrie und Politik transatlantischer Provenienz. Auch Angela ist dort regelmäßig zu Besuch und sitzt neben Teltschik auf dem Podest. Seit Mitte der siebziger Jahr ist Teltschik intimer Kenner der Spendentricks der CDU; damals war er Leitender Ministerialrat in der Mainzer Staatskanzlei von Helmut Kohl gewesen. Sehr bezeichnend ist sein Gebaren im Zusammenhang mit seiner Anhörung zu CDU-Spendenskandal: Als „Entschädigung für entgangene Arbeitszeit am 16.11.2000“ reicht er damals eine Rechnung über 5.250 DM ein.

Unbekannter “Impact Factor”

Werner Weidenfeld ist eine weiterer Kontaktmann, der mit Bertelsmann eng verbunden ist. Auf den Webseiten der Ludwig-Maximilians-Universität München findet sich noch heute eine herausragende wissenschaftliche Arbeit über Angela Merkel vom Leiter des Centrums für Angewandte Politikforschung, Prof. Dr. Werner Weidenfeld, aus dem Jahr 2007. Allein die Fachzeitschrift ist in den Kreisen der Politikforschung noch nicht abschließend etabliert. Es handelt sich um das Boulevardblatt “Bunte” aus dem Offenburger Burda-Verlag. Deswegen beginnt Prof. Dr. Weidenfelds Ausarbeitung auch erst auf der dritten Seite des Beitrags, da die beiden ersten Seiten für retuschierte Hochglanzfotos Merkels reserviert sind. Die Lobhudelei, die dann folgt, erinnert stark an die Merkel-Biographie von Wolfgang Stock.

Immerhin werden einige ihrer Eigenschaften treffend wiedergegeben: Beispielsweise ihre ausgezeichneten Sprachkenntnisse in Englisch und Russisch sowie ihre passiven Französischkenntnisse. Auch die Durchkreuzung von Schäubles Präsidentenambitionen findet Erwähnung. Der Ausschluss jeglicher „feministischen Färbung“ bei Merkel wird Beate Baumann in der Ausarbeitung Weidenfelds gerne gelesen haben. Ansonsten gibt es viel Lächeln, auf bunten Bildern mit Blair, Erdogan, Putin, Chirac und sogar mit Ehemann Joachim in der Home-Story außer Haus. Wie bei Stock findet sich auch hier eine kleine Perle, die Merkels überwältigende Beliebtheit im Ausland so ein klein wenig zu erklären vermag: „Zur Not hilft sie mit eine paar Milliarden aus deutschen Kassen nach…“ Über den “Impact Factor” der Ausarbeitung von Professor Weidenfeld in der Fachwelt ist nichts bekannt, aber beim vorwiegend weiblichen Fachpublikum der “Bunten” hat der Artikel seine Wirkung sicher nicht verfehlt. Und ob das Ganze eher mit Auftrag aus Gütersloh als mit wissenschaftlichem Anspruch verfasst ist – wen kümmert das schon…

Die Personalie Elmar Brok

Der Arm von Bertelsmann reicht auch nach Brüssel. Am 17. Juni 1980 rückt ein junger Mann im Alter von vierunddreißig Jahren für die CDU ins Europa-Parlament nach. Sein Name: Elmar Brok. Er übernimmt das Mandat von dem am 10. Juni 1980 überraschend verstorbenen Albert Pürsten. Außer einem Jahr Studium in Europarecht, das er erfolglos in Edinburgh betrieben hat, verfügt er über keinerlei formale berufliche Qualifikationen. Zwischendurch arbeitet er als Rundfunk- und Zeitungsjournalist. Seit 1973 ist er allerdings als stellvertretender Bundesvorsitzender der Jungen Union Parteifunktionär. Rund ein Jahrzehnt nach seinem Antritt in Brüssel lockt Brok eine neue Aufgabe: Bei Bertelsmann sucht man einen “Europa-Beauftragten des Vorstands” für Brüssel – und entscheidet sich für den tüchtigen Abgeordneten mit Lokalbezug nach Gütersloh. Zur Ehrenrettung Elmars muss erwähnt werden, dass er damals offenbar beabsichtigt, sein Abgeordnetenmandat mit Beginn seiner Bertelsmann-Beauftragung, die ihm einen Stab mit drei Mitarbeitern sichert, aufzugeben. Kein Geringerer als Helmut Kohl soll ihn damals davon abgebracht haben.

Kohl ist Brok in dieser Zeit bemerkenswert dankbar für dessen Loyalität beim Putschversuch von Geißler und Späth im September 1989 – und so kommt es, dass Brok über ein Jahrzehnt hinweg als völlig unabhängiger Lobbyist im EU-Parlament sitzt. Kritik in Rundfunk oder Zeitung ahndet Brok regelmäßig mit bösen und drohenden Anrufen in der Chefetage des jeweiligen Medienhauses. Zusätzlich zum Abgeordnetenverdienst gibt es also bis zu seinem Renteneintritt im Jahr 2011 ein üppiges Zweitgehalt. Als “Senior Vice President Media Development” bei Bertelsmann streicht er monatlich mindestens 5.000 Euro Nebenverdienst ein. Hinzu kommen noch Einnahmen für Vorträge und ähnliche Veranstaltungen. Von der Hypo-Vereinsbank gibt es für einen Vortrag am 28. Oktober 2005 die Kleinigkeit von 5.000 Euro, die Brok obendrein noch zu versteuern vergisst. Das ist aber kein Problem: Seine netten Kollegen im EU-Parlament verhindern die Aufhebung seiner Immunität. Der ermittelnde Staatsanwalt schließt übrigens nicht aus, dass Brok bei weiteren Veranstaltungen ebenfalls Honorare eingestrichen hat, die nicht versteuert wurden. Das Verfahren wird eingestellt.

Politische Themen bearbeiten und monetarisieren

Nach seiner Verrentung bei Bertelsmann brechen für Elmar Brok derart karge Zeiten an, dass er sich schließlich dazu genötigt sieht, von Parlamentstouristen aus Deutschland jeweils 150 Euro Zusatzgebühren einzutreiben. Äußert aktiv wird Elmar Brok noch einmal im Zusammenhang mit den Avancen der EU in Richtung der Ukraine während des sogenannten “Euromaidans”: Er schlägt Anfang Februar 2014 Vitali Klitschko als zukünftigen Präsidenten und Arseniy Yatsenyuk als Ministerpräsidenten vor, noch während der legitime Präsident Viktor Yanukovych im Amt weilt. Drei Wochen später ist immerhin Yatsenyuk Ministerpräsident, während Klitschko am 25. Mai 2014 “nur” zum Bürgermeister von Kiew gewählt wird. Die gute Kooperation Broks mit Helmut Kohl wird, sofern man den Bildern trauen darf, auch mit Angela Merkel fortgesetzt.

Überaus geschickt und unauffällig bearbeiten die Bertelsmann Stiftung und ihre Abgesandten das politische Vorfeld mit Schwerpunkten bei gesellschaftlichen Themen wie Kindererziehung, Schule und Hochschule, Zuwanderung, öffentliche Verwaltung oder Gesundheit. Alles Themen, die auch vom Bertelsmann-Konzern bearbeitet und monetarisiert werden – denn gemeinnützig muss ja nur die Stiftung sein. Im Konzern dürfen die Kassen eigennützig klingeln. „Es ist uns egal, wer regiert“, lässt sich der frühere Stiftungs-Chef Gunter Thielen 2008 zitieren. Das klingt fast wie “Es ist uns egal, wer unter uns regiert”, und es hat seinen Grund: So wäre es beispielsweise ohne die Zuarbeit der Bertelsmann Stiftung nie zu den Hartz-Reformen unter der Regierung Schröder gekommen, wie Autor Thomas Schuler gleich mit einem ganzen Kapitel seines Buches nachweist. Im Hinblick auf die Bertelsmann Stiftung ist man fast gezwungen, von einer Schattenregierung zu sprechen: Vom “Kanzleramt in Gütersloh” und vielleicht auch ein wenig vom “State Department in Gütersloh”. Wer weiß das schon? Und vor allem: Wer will es schon so genau wissen?

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