Horst D. Deckert

Cancel Culture: Ein gefährliches Phänomen unserer Zeit

Kritiker werden aus der Öffentlichkeit gedrängt, der Alleinanspruch auf die Wahrheit wird einzementiert: Dieses Merkmal jedes totalitären Systems passiert in der multimedialen und von kulturellen Reizen überfluteten Welt oft nicht in Form offener Zensur, sondern damit, dass an den Widerspenstigen ein Exempel statuiert wird. Man spricht dann von „Cancel Culture“ – also Lösch- bzw. Absagekultur. Es ist ein gefährliches Phänomen unserer Zeit.

Von Alfons Kluibenschädl

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Denkt man an die Verfolgung von Künstlern, kommt einem ein Zitat des einstigen ugandischen Machthabers Idi Amin in den Kopf: „Es gibt Redefreiheit – aber ich kann die Freiheit nach der Rede nicht garantieren“. Bald nach der Machtergreifung ließ er ab 1971 Kritiker des Regimes wegen ihres Weltbilds „verschwinden“. Weniger blutrünstig, aber ähnlich effektiv ist es, wenn Gesinnungswächter heute nach dem symbolischen Kopf von Kulturschaffenden rufen, die sich aus der Deckung wagen.

Schauspieler begehren auf

Ein Paradebeispiel der Jagdgesellschaft lieferte die Reaktion auf die Kampagne #allesdichtmachen, bei der 53 deutsche und österreichische Schauspieler das Corona-Regime ihrer Ländern in Satire-Videos grandios aufs Korn nahmen. Der Mainstream tobte: Besonders schossen sich die gleichgeschalteten Medien auf „Tatort“-Darsteller Jan Josef Liefers ein, weil er ihnen unterstellte, gleichgeschaltet zu sein. Souverän parierte er, der bereits zum Ausklang der DDR das Wort gegen die Eliten ergriff. Einem manipulativ fragenden Moderator hielt er schlagfertig den Spiegel vor.

Applaus aus „falscher“ Ecke

Andere begehren zum ersten Mal auf – und geht es nach der „Cancel Culture“, auch zum letzten Mal. Garrelt Duin, SPD-Politiker und WDR-Rundfunkrat, forderte ein Ende der Engagements im öffentlich-rechtlichen Fernsehen für die Beteiligten, rückte aber später davon ab. Aus allen Richtungen prasselte es auf die widerständigen Mimen ein – und einige hielten dem massiven Gegenwind nicht stand. Nach einer Woche waren über 20 Videos bereits gelöscht, Meret Becker musste vor ihrem Rückzug nach Drohungen sogar um ihr Leben fürchten.

Dabei wurden die Aussagen erst durch Einwirken der polit-medialen Blase „umstritten“. Die Reaktion des Publikums fiel nämlich laut YouTube-Reaktionen zu über 95 Prozent positiv aus. Für einen pauschalen Vorwurf reichte es trotzdem: Der Applaus käme teils aus der „falschen“, der „rechten“ Ecke. Dort befindet sich alles, das irgendwie aus der Reihe tanzt. Parteien, die Dinge ansprechen, die vor wenigen Jahren noch „mittig“ galten, findet man dort ebenso wie Maßnahmenkritiker und sogar frühere DDR-Bürgerrechtler.

Auch zahlreich dort: Autoren, Sänger, Schauspieler, Verleger – bekannte Leute aus dem Kulturbetrieb, die wegen ihres Aufbegehrens schon eher durchs Dorf getrieben wurden. Und weil man Künstlern seit einem Jahr unter dem Vorwand der „Gesundheit“ ihre Lebensgrundlage nimmt, stehen immer mehr auf. Einige davon, wie die vegan lebende Nena, hätte man sogar eher „links“ verortet. Auch sie sind in der ominösen „rechten Ecke“, aus der der Applaus kommt.

Gesinnungsjagd seit Jahren

Die Saat für diese totalitäre Ernte wurde schon vor Jahren ausgefahren. Im Sog der 68er wurde Gegenkultur zu Popkultur und später zu alleinig erlaubter Kultur. Wer widersprach, dem versuchte man den Garaus zu machen. „Volks-Rock‘n‘Roller“ Andreas Gabalier stand wegen seiner konservativen Ansichten am gesellschaftlichen Pranger. Gegen die Prämierung mit dem bayerischen Karl-Valentin-Orden liefen Mainstream-Medien Sturm. Man grub einen Musikforscher aus, der behauptete, mit Worten wie „Freiheit“ benutze er „bewusst Parolen aus einem rechtspopulistischen Umfeld“.

Auch Auftrittssperren sind ein beliebtes Mittel. Nach Kritik an der deutschen Migrationspolitik flog Xavier Naidoo aus der Jury einer Fernsehcastingshow, es wurden Rufe nach Konzertverboten laut. Die Ausbootung aus derselben Sendung und der Verlust von Werbeverträgen widerfuhr Schlager-Sänger Michael Wendler nach seiner Maßnahmenkritik.

In regem Gebrauch ist das Werkzeug schon länger: Weil sie über Heimatthemen sangen, lud man 2013 die Südtiroler Deutschrocker Frei.Wild – auf Druck anderer Interpreten und Sponsoren – von Preisverleihungen und Festivals aus. Andere Künstler schaffen es aufgrund der „Gesinnungsbarriere“ gar nicht erst so weit nach oben. Einen patriotischen Rapper zensierte man im Vorjahr einfach aus den Charts.

Versuch der Abschreckung

Konsistenz ist den Empörten unwichtig: Vor 15 Jahren entzog man einer finnischen Metal-Band zahlreiche Deutschland-Auftritte. Obwohl der Autor einiger Lieder seinerzeit mit einer Asiatin liiert war, unterstellte man der Gruppe „rechtsextreme“ Texte. Eine bekennende Feministin wie Harry Potter-Autorin J.K. Rowling geriet ins Visier, als sie die Aufweichung des Begriffs „Frau“ bedauerte. Plötzlich galt sie als „transfeindlich“, Darsteller ihrer Verfilmungen distanzierten sich.

Unerheblich ist, ob die Vernaderer ihre Macht politisch besitzen oder nur innerhalb eines Feldes die Vorherrschaft innehaben. Ihr Ziel ist, Unliebsame mit dem maximalen Schandstempel zu belegen. Im Idealfall zerstört man Existenz und Ruf des Widerborsts, um ihn zurück in den Gehorsam oder aus der Geltung zu treiben. Zudem wird ein Exempel statuiert: „Wenn du dich gegen den Strom stellt, reißt dich der Strom zu Boden.“ Andere hüten sich dann aus Sorge vor dem Karriereende ihren Mund aufzumachen.

Indes erfinden die Gesinnungswächter neue „Corona-Leugner“, „Rechtsextreme“ und „Neonazis“. Notfalls reicht dafür, irgendwann mit jemandem gesehen worden zu sein, an dem die Prozedur schon erfolgreich war. Jeder Inhalt, den dieser äußerte, ist automatisch verpönt. Wer ihn teilt, ist ebenso „Rechtsextremer, Faschist, Corona-Leugner“.

Mit jeder Aktion verengt sich der Korridor des Sagbaren – und beim nächsten Mal beginnt die Hatz von neu. Umso wichtiger ist es, die Mut-Künstler mit Solidarität zu belohnen. Nur so hört die immer bedrohlichere „indirekte Zensur“ irgendwann auf, nur so trauen bald wieder Kulturschaffende, zum Sprachrohr eines Volkes zu werden, das Veränderung will.

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