Horst D. Deckert

«Dein ungeimpftes Kind ist viel sicherer als eine geimpfte Grossmutter»

Emily Oster, eine Wirtschaftswissenschaftlerin an der Brown University, die häufig über Kindererziehung schreibt, veröffentlichte im März in The Atlantic einen Artikel, der viele Menschen wütend machte, schrieb David Leonhardt am 12. Oktober 2021 in der New York Times. Die Überschrift von Osters Artikel lautete: «Ihr ungeimpftes Kind ist wie eine geimpfte Grossmutter». In dem Artikel wurde behauptet, dass Covid-19 bei Kindern in der Regel so mild verläuft, dass geimpfte Eltern mit ihren ungeimpften Kindern beruhigt in die Welt hinausgehen können.

Kritiker hätten den Artikel als unsensibel und irreführend bezeichnet, so Leonhardt weiter, da er die Risiken, dass Kinder sowohl krank werden als auch das Virus verbreiten könnten, unterbewertet habe. Oster reagierte auf ihrer Website mit einer Mitteilung, in der sie an ihrem Hauptargument festhielt, sich aber insbesondere für den Mangel an Nuancen in der Schlagzeile entschuldigte. «Ihre Kritiker schienen in gewisser Weise Recht zu bekommen», stellt Leonhardt fest.

Sieben Monate später, als viel mehr Covid-Daten zur Verfügung stehen, sehe die Debatte über den Artikel ganz anders aus. Oster sei diejenige, der weitgehend Recht gegeben wurde. Wenn überhaupt, dann würden die späteren Daten darauf hindeuten, dass sie bei der Beschreibung der Altersverzerrung von Covid nicht weit genug ging. Heute könnte eine korrekte Version ihrer Schlagzeile lauten: «Ihr ungeimpftes Kind ist viel sicherer als eine geimpfte Grossmutter», konstatiert Leonhardt.

Die Daten beweisen diese Aussage. Hier sind zum Beispiel die Krankenhausaufenthaltsraten nach Alter und Impfstatus in King County, Washington, zu dem auch Seattle gehört und das laut Leonhardt einige der detailliertesten Covid-Daten des Landes veröffentlicht.

covid_hospital_admission_rates_seattle-4

Quelle: NYT/Washington Department of Health

Aus den Daten geht hervor, dass die Risiken für ungeimpfte Kinder ähnlich hoch sind wie die Risiken für geimpfte Menschen in ihren 50ern.

Die landesweiten Statistiken aus England zeigen eine noch grössere Altersverschiebung. Kinder unter 12 Jahren (eine Gruppe, die in der nächsten Grafik mit Teenagern zusammengefasst ist) scheinen ein geringeres Risiko zu haben als geimpfte Menschen in ihren 40ern, wenn nicht sogar 30ern.

covid_hospital_admission_rates_england-4

Quelle: NYT/U.K. Health Security Agency

«Covid ist eine Bedrohung für Kinder. Aber es ist keine aussergewöhnliche Bedrohung», zitiert die NYT Dr. Alasdair Munro, ein Spezialist für pädiatrische Infektionskrankheiten an der Universität Southampton:

«Sie ist ganz alltäglich. Im Allgemeinen sind die Risiken einer Ansteckung ähnlich wie bei anderen Atemwegsviren, über die man wahrscheinlich nicht viel nachdenkt.»

Leonhardt fügt an, dass vor allem für sehr alte Menschen sowie für Menschen mit schweren gesundheitlichen Problemen die Impfung das Risiko einer Covid-Krankenhauseinweisung oder eines Todesfalls nicht auf nahezu null reduziere. Das sei etwas anderes, als die ursprünglichen Daten zur Impfung vermuten liessen. Eine Impfung sei jedoch immer noch das Beste, was ältere Menschen tun könnten, so Leonhardt.

Bei Kindern ohne ernsthafte Erkrankung sei die Gefahr einer schweren Covid-Erkrankung hingegen so gering, dass sie nur schwer quantifizierbar sei. Bei Kindern mit einer solchen Erkrankung sei die Gefahr zwar höher, aber immer noch geringer, als viele Menschen glauben würden. Das Risiko von «Long Covid» bei Kindern – eine Quelle der Angst bei vielen Eltern – scheine ebenfalls sehr gering zu sein.

Zur Frage, ob Kinder geimpft werden sollten, seien die Argumente, die dagegensprechen würden, dass es einige seltene Nebenwirkungen gibt und dass Covid für Kinder nicht besorgniserregender ist als einige andere Atemwegserkrankungen, resümiert Leonhardt. Für die Impfung spreche hingegen, dass beunruhigende Nebenwirkungen sehr selten auftreten würden, dass die langfristigen Auswirkungen von Covid ungewiss seien und dass die Impfung von Kindern zum Schutz aller anderen beitragen könne, indem sie die Übertragung verringert.

«Was denkt Oster über all das?», fragt Leonhardt. In den sozialen Medien und in ihrem Newsletter habe sie den Weg der Umgänglichkeit eingeschlagen, anstatt die frühere Debatte erneut aufzurollen. Stattdessen hätte sie einen aktuellen Newsletter der Überprüfung der Beweise über Kinder und Covid-Impfstoffe gewidmet.

«Ich hoffe, wir können uns darauf einstellen, ein wenig behutsam miteinander umzugehen», schrieb Oster. «Fragen über Impfstoffe für Kinder zu stellen oder bei Kindern vorsichtiger zu sein als bei älteren Erwachsenen – das sind vernünftige Ansätze.»

Trotzdem würde Oster ihre Kinder impfen lassen, sobald sie das Recht dazu hätten: «Ich möchte nicht, dass sie Covid bekommen. Ich mache mir Sorgen um ihren immungeschwächten Grosselternteil. Ich möchte eine Quarantäne vermeiden und sie in der Schule behalten.»

Ähnliche Nachrichten