Vor vielen Jahren schon meinte Marine Le Pen, dass ihre wirkliche Chance auf das Präsidentenamt im Jahr 2022 kommen würde. Lange Zeit sah es auch danach aus, nachdem sich Stück für Stück das französische Bewusstsein an die Realität der rechtspopulistischen Neugründung des alten Fron National anpasste. Mehrere Präsidenten besiegten sie und scheiterten dann, doch Le Pens bittere Wahrheiten über den Zustand des Landes blieben. Nun aber, ausgerechnet beim Einbiegen auf die Zielgerade, wird sie überholt von einem furiosen Gegenspieler aus der Ecke des Rechtspopulismus, der nicht nur sie, sondern die gesamte Konkurrenz überrumpeln könnte.
The Spectator: Eric Zemmour isst Marine Le Pen lebendig
Französische Meinungsumfragen sollte man stets mit etwas zu viel Salz genießen als zu wenig. Eine gerade frisch veröffentlichte Wahlumfrage für die Präsidentschaftswahl 2022 von Harris Interactive allerdings, ist nicht weniger als explosiv.
Die Haupterkenntnis der Umfrage bestand in der Bestätigung der Annahme, dass Xavier Bertrand sehr wahrscheinlich für die mitte-rechte Republikaner antreten wird, allerdings zeigen die Werte auch einige höchst unerwartete Tendenzen. Der Establishmentkandidat Bertrand liegt derzeit nur knapp vor dem Journalisten Eric Zemmour, dessen aufrührerischer Feldzug von rechts immer stärker die bestehenden Erwartungen aufmischt.
Sollte Zemmour, der seine Kandidatur momentan noch nicht offiziell gemacht hat, weiter aufsteigt und gleichzeitig Marine Le Pen an Zustimmung verlieren, dann könnte im politischen Frankreich etwas sehr außergewöhnliches passieren. Zemmour hätte in diesem Fall gute Chancen darauf, die zweite Runde zu erreichen, also nicht nur Le Pen hinter sich zu lassen, sondern auch Bertrand besiegen, um dann in der Ausscheidung gegen Macron anzutreten. Niemand hat diese Konstellation bisher auf dem Schirm gehabt.
Bekämpft bis aufs Messer und dennoch beliebt
Noch sind es 195 Tage bis zum ersten Wahlgang. Doch die steten Versuche der Medien und der politischen Konkurrenz, Zemmour den Boden unter den Füßen wegzuziehen und ihn als untragbar weit rechts hinzustellen, prallen alle an ihm ab. Seine plötzliche Beliebtheit zeigt sich beispielsweise darin, dass er in nur einer Woche konnte er 200.000 Exemplare seines neuen Buches verkaufen, obwohl er von seinem Verleger Albin Michel deswegen vor die Tür gesetzt wurde.
Auch die Behörden versuchen ihr bestes, Zemmour den Stecker zu ziehen. So setzte die Rundfunkaufsichtsbehörde ein Auftrittsverbot für ihn in seiner eigenen Abendsendung durch, nachdem sie dafür offenbar eine neue Regel erfunden hat, um den Heißsporn zum Schweigen zu bringen. Physische Drohungen gegen seine Person kommen hinzu. Nichts davon half bislang gegen Zemmour, der seinen Zustimmungswert innerhalb weniger Wochen von 7 auf 13 Prozent steigern konnte.
Die Bien-Pensants, das Establishment von Paris, verabscheut den Mann und dämonisiert ihn als einen Krawallrechten, obwohl sie ihm gleichzeitig einen beeindruckenden Intellekt und ein Gespür für Polemik attestieren. Zemmour, der als Sohn algerischer Exiljuden frei von jeglicher Kritik französischer Werte verteidigt und sich als Agitator gegen den Islamismus geriert, wurde schon mehrfach wegen seiner unverblümten Äußerungen verurteilt. Laut ihm sollen beispielsweise Einwanderer in Frankreich täglich für bis zu 1.000 Gewaltverbrechen pro Tag verantwortlich sein, eine Zahl, die Macrons Innenministerium dementiert.
Alles auf Sieg, auch über Le Pen
Es heißt, dass mittlerweile bis zu 200 „Freunde“ von Zemmour für seine Schattenkampagne arbeiten und gerade vor wenigen Tagen Büroräume im Zentrum von Paris angemietet haben. Überall im Land, aber auch unter Exilfranzosen in London, Brüssel und Genf sammelt er Geld für seine Kampagne ein.
Marine Le Pen, die seit Jahren schon als sichere Gegenkandidatin von Präsident Emmanuel Macron gehandelt wird, befindet sich dagegen im freien Fall. Im Juni erreichte sie in Umfragen noch 28 Prozent der Stimmen. Inzwischen ist die Unterstützung für sie auf 16 Prozent eingebrochen – es ist dabei vor allem für Macron eine Hiobsbotschaft, der sich in einer Stichwahl gegen sie sehr gute Chancen erhoffte. Zemmour jedoch fegt Le Pen mit Vehemenz einfach so von der Bühne.
Auch Macron hat sich bislang noch nicht offiziell als Kandidat für die Wiederwahl erklärt, obwohl er spendabel wie selten Frankreich mit öffentlichen Gelder überschüttet, als handele es sich um Konfetti. In den Umfragen verharrt er jedoch weiterhin bei 23 Prozent – was nicht viel ist, sollte er in der Stichwahl nicht auf die verbrämte Le Pen treffen, sondern auf jemanden im vollen Lauf. Einige der hektischeren Kommentatoren spekulieren inzwischen sogar darüber, ob es Macron überhaupt in die Stichwahl schaffen wird. Momentan allerdings erscheint ein solches Szenario noch übertrieben.
Die politische Linke ist tot und Macron könnte ihr folgen
Im linken Spektrum liegt die ergrünte Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo als mutmaßliche Kandidatin der Sozialistischen Partei bei nur 7 Prozent und damit noch einmal deutlich hinter dem Altsozialisten Jean-Luc Melenchon von France Insoumise. Erste Rufe nach einem Verzicht durch Hidalgo machen die Runde, deren Hoffnung auf Melenchon liegt, der es mit den Stimmen der Sozialisten und Grünen eventuell in die zweite Runde schaffen könnte. Aber auch das ist zum aktuellen Zeitpunkt mehr ein Wunschtraum als eine mögliche Wirklichkeit und wird es wohl auch bleiben.
Die Frage ist: Wo steht Macron in Anbetracht dieser Umfragen wirklich? Seine Opposition scheint zersplittert zu sein. Umfragen erlauben stets nur eine begrenzte Aussage, was vor allem für jene für die Stichwahl gilt, da sie auf zu viele Annahmen beruhen. Festzustehen scheint bislang nur, dass die Riege der Nichtwähler die größte Partei Frankreichs bleiben wird, wodurch selbst eindeutige Prognosen deutlich verwässert werden. Das Umfeld von Zemmour hofft genau darauf, und dass ihr Kandidat viele jener Wahlberechtigten zur Abstimmung für ihn bewegen könnte, die nur unwahrscheinlich an Wahlen teilnehmen. Sollte das so kommen, dann könnte Macron von rechts außen vor eine echte Herausforderung gestellt werden.
Quelle Titelbild