Horst D. Deckert

Deutscher Auslandsnachrichtendienst setzt offenbar Medienschaffende als Spitzel ein

«Weil Presseleuten immer und überall das Recht zuerkannt wird, zu fragen, geben sie ein unverdächtiges Personal ab für einen geheimen Observationsdienst, zumal sie Fähigkeit besitzen, verständlich darzustellen und Tatsachen von blossen Gerüchten zu scheiden», sagte Otto von Bismarcks Geheimdienstchef Stieber in seinen Memoiren.

An dieser Praxis hat sich offenbar bis heute kaum was geändert. Denn der Bundesnachrichtendienst (BND) setzt noch immer Journalisten als Informanten ein.

Das geht aus einem Schriftsatz des deutschen Auslandsnachrichtendienstes vom 26. April 2022 an das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) hervor, wie das Portal Legal Tribune Online (LTO) Anfang Woche berichtete. Das Portal ist in den Besitz des Schreibens gelangt.

Im BND-Fachjargon ist in diesem Zusammenhang auch die Rede von «nachrichtendienstlichen Verbindungen (NDV)» – gemeint sind damit Journalisten, die den Geheimdiensten als Quellen zudienen, um Erkenntnisse aus dem Ausland zu gewinnen, die von aussen- und sicherheitspolitischer Bedeutung sind.

In dem Schreiben, das im Zusammenhang mit einem presserechtlichen Auskunftsersuchen der BILD-Zeitung steht (Az. BVerwG 20 F 5.22), stellt der BND klar: «Eine Heranziehung von Vertretern der Medienbranche als NDVen ist auch heute noch möglich.» – LTO kommentiert:

«‹Heute noch›? Richtiger läge der BND wohl, wenn es im Schriftsatz heissen würde: ‹Schon wieder›.»

Das Onlinemagazin verweist darauf, dass das Bundeskanzleramt 2006 nach diversen Bespitzelungen von investigativen Journalisten durch Journalisten im Auftrag des BND ein Machtwort gesprochen und verfügt hatte, dass Journalisten vom BND nicht mehr als Quellen oder Informanten benutzt werden dürfen.

Ex-BND-Chef Hansjörg Geiger – von 1996 bis 1998 an dessen Spitze – hatte Jahre später Medien gegenüber behauptet, er habe sogar bei seinem Amtsantritt «ausdrücklich verfügt, dass der BND keine Journalisten als Quelle führen darf». Geiger war während seiner Amtszeit selbst in die Kritik geraten, er habe mutmasslich Journalisten für die Dienste angeworben.

Der heutige BND sieht es offenbar nicht als problematisch an, uneingeschränkt auf Journalisten als Spitzel zurückzugreifen. Für den Auslandsnachrichtendienst haben Medienvertreter keine Sonderstellung gegenüber anderen Berufsgruppen:

«Die Methoden in der Quellenführung unterscheiden sich (…) nicht massgeblich, je nachdem in welcher Branche eine NDV tätig ist», heisst es im Schriftsatz des Dienstes an das BVerwG.

Ob der BND nunmehr mit seiner Auffassung noch gegen geltende Weisungen des Kanzleramtes verstösst und welche Konsequenzen daraus folgen würden, hat die Bundesregierung gegenüber LTO nicht beantwortet.

Das Thema wird jedenfalls auch die Politik erreichen. Bei dem für die Kontrolle der Nachrichtendienste zuständigen Parlamentarischen Kontrollgremium (PKGr) wird die Angelegenheit alsbald zur Sprache kommen. Das jedenfalls kündigte Dr. André Hahn MdB an, der Vertreter der Fraktion Die Linke in der PKiGr.

Hahn kritisierte gegenüber LTO: Der BND unterliege beim Anheuern oder der Verwendung seiner Informationsquellen «so gut wie keinen» rechtlichen Beschränkungen.

Empört über die Einschätzung des BND zeigt sich Frank Überall, der Vorsitzende des Deutschen Journalisten-Verbandes (DJV):

«Diese Aussagen sind skandalös. Journalistinnen und Journalisten sind keine Spitzel und stehen deshalb dem deutschen Auslandsgeheimdienst auch nicht als Quellen zur Verfügung.» In diesem Fall gehe es «um nichts weniger als um die Glaubwürdigkeit von Journalisten und ihren Medien und um das Redaktionsgeheimnis, das auch der BND zu achten hat.»

Bestens vertraut mit der Arbeit der deutschen Geheimdienste ist Erich Schmidt-Eenboom. Der Publizist und Leiter des Weilheimer Friedensinstituts hat zahlreiche Bücher über die Dienste geschrieben. 2005 kam heraus, dass ihn die Dienste von 1993 bis etwa 1998 selbst überwacht hatten, was seinerzeit zum erwähnten Journalisten-Skandal des BND geführt hatte.

Von den aktuellen Aussagen des BND aus dem Schriftsatz vom April 2022 zeigt er sich LTO gegenüber wenig überrascht:

«Die Weisung des EX-BND Präsidenten Geiger, keine Journalisten als Quelle zu führen, ist auf der Arbeitsebene der Sicherheitsabteilung zur Eigensicherung unterlaufen worden. Mein Gesprächskontakt zum BND in der Ära Geiger wollte zum Beispiel häufig und vergebens Informationen über Kollegen in Erfahrung bringen.»

Ganz offensichtlich, so der Geheimdienstexperte, habe einer der Nachfolger Geigers dessen Weisung widerrufen, und der BND, laut Schmidt-Eenbohm «nicht gerade als leistungsstark in der Aufklärung mit menschlichen Quellen bekannt», setze seit Jahren wieder auf NDVen im Medienbereich.

Schmidt-Eenboom appelliert an die Journalisten, Angeboten des BND zur Zusammenarbeit nicht nachzukommen: «Wer über Regierungshandeln kritisch und objektiv berichten will, der kann nicht in einem Boot mit dem verborgensten Teil der Exekutive sitzen.»

Zusatzbemerkung am Rande: Der Geheimdienstexperte weiss nur zu gut, dass die Kooperation zwischen Geheimdiensten und Journalisten eine lange Tradition hat:

In seinem Buch «Undercover. Der BND und die deutschen Journalisten» zeigte Schmidt-Eenbohm auf, dass während des Kalten Krieges nahezu alle deutschen Leitmedien mehr oder weniger stark von sogenannten Vertrauensjournalisten des BND durchsetzt waren.

Ähnliche Nachrichten