Horst D. Deckert

Die EU wird deutsch, ob wir es wollen oder nicht

Vieles lässt sich mit dem Abstand der Außenperspektive besser erkennen. Nachdem Großbritannien aus der EU ausgetreten ist, hat sich die Berichterstattung über den Block deutlich verändert. Wo zuvor medial mitunter heftige Kritik an deren inneren Mechanismen geübt wurde, ist inzwischen ein Mentalitätswandel eingetreten, der die neue Position des Landes gegenüber Brüssel widerspiegelt. Nicht mehr Jean-Claude „Drunckers“ Eskapaden stehen im Mittelpunkt, vielmehr wird aus London nur noch rein geopolitisch auf den Kontinent geblickt. Dieser Blick verrät den Briten, dass die EU zunehmend von Deutschland aus dirigiert wird und sich als Endpunkt eine fast ausschließliche deutsche Dominanz über den Kontinent abzeichnet.

The Spectator: Die Übernahme der EU durch Deutschland beschleunigt sich

Vetos sollen nicht länger erlaubt sein. Kleinere Länder dürfen nicht in der Lage sein, den Willen der „Mehrheit“ zu blockieren. Gleichzeitig müssen die großen Mitglieder mit den größten finanziellen Beiträgen an die EU über die Politik des Blocks bestimmen. Seit der deutschen Wiedervereinigung, als Deutschland zum größten EU-Mitglied wurde, gibt es eine schleichende Übernahme der Europäischen Union durch das Land. Da die Briten nicht mehr dabei sind, um diese Entwicklung aufzuhalten, beginnt sie sich allmählich zu beschleunigen.

Den bisher deutlichsten Hinweis auf diese deutsche Übernahme gab es heute mit der Forderung nach einem Ende nationaler Vetos. Der deutsche Außenminister Heiko Maas sagte bei einem Treffen der deutschen Botschafter: „Wir dürfen uns nicht mehr in Geiselhaft nehmen lassen von jenen Leuten, die mit ihren Vetos die europäische Außenpolitik ausbremsen. Solange einzelne Mitglieder die EU an einer Entscheidung hindern dürfen“, so Maas, „dann gefährden Sie früher oder später den Zusammenhalt Europas. Das Veto muss weg, auch wenn das bedeutet, dass wir überstimmt werden können.“

Im Moment scheinen es vor allem die Ungarn zu sein, die den deutschen Außenminister ganz besonders in die Quere kommen. Die zunehmend unberechenbare Regierung von Viktor Orban hat EU-Forderungen nach einem Waffenstillstand zwischen Israel und Palästina blockiert, sich geweigert, ein Handelsabkommen mit der Karibik zu ratifizieren, und Kritik an Chinas jüngstem Vorgehen in Hongkong abgeblockt. Natürlich mutet es ein wenig seltsam an, dass die Deutschen ausgerechnet aus der Außenpolitik der EU eine große Sache machen. Viele argumentieren völlig zu Recht, dass ein Land, das sich gerade vollständig von Wladimir Putins Russland abhängig machen will und aufgrund von seiner Exportwirtschaft ebenso von Präsident Xis China abhängig ist, nicht wirklich ein Anrecht hat, jemanden zu belehren.

Diese Kritik aber verfehlt das größere Bild. Die eigentliche Entwicklung geht in Richtung einer EU, bei der es sich nicht mehr um einen Zusammenschluss von souveränen Nationen handelt, von denen einige klein und andere größer sind, die aber alle mehr oder weniger gleichberechtigt mitreden können, sondern sich in eine Organisation verwandelt, die in erster Linie von Deutschland dominiert wird. Zwei Gründe gibt es dafür.

Erstens wurde Deutschland durch die Wiedervereinigung zum mit Abstand größten Mitgliedsland (das alte Westdeutschland war mit 62 Millionen Menschen etwa so groß wie Frankreich, Großbritannien und Italien). Der zweite besteht im Austritt der Briten aus der EU. Italien ist wirtschaftlich zu schwach und politisch strukturell zu gespalten, als dass es ein Gegengewicht bilden könnte, während sich Frankreichs europhile Elite an den Glauben klammert, dass sie eine von Deutschland dominierte EU weitgehend für ihre Zwecke einspannen können. Ablesen lässt sich dies an der Ernennung von Angela Merkels leicht verstimmter Mini-Mutti Ursula von der Leyen,zur Kommissionspräsidentin. Ebenso ablesen lässt es sich an der deutschen Kontrolle des Coronafonds als dem neuen Finanzvehikel der EU. Neu hinzu kommt jetzt die Forderung nach einer umfassenden Neugestaltung der politischen Architektur des Blocks.

Effektiv wäre die Abschaffung des Vetos nur ein weiterer Schritt in diesem Prozess. Ungarische, polnische, niederländische oder dänische Einwände gegen die in Berlin entworfene Politik könnten dann einfach beiseite geschoben werden. Dennoch wird es unvorstellbar bleiben, dass auch Deutschland gegen dessen Willen eine Politik aufgezwungen wird. Ob eine von Deutschland kontrollierte EU besser oder schlechter funktionieren wird, darüber lässt sich streiten: Man könnte argumentieren, dass sie kohärenter sein wird, auch wenn es ihr an demokratischer Legitimation fehlt. Dennoch bleibt stehen, dass sollte es so kommen, dann wird es sicherlich keine Frage mehr sein, ob die EU von Deutschland beherrscht wird.

Quelle Titelbild

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