Horst D. Deckert

Eine Fabrik für den Frieden

Wolfgang Lieberknecht hat 2020 die Initiative Friedensfabrik Wanfried ins Leben gerufen. In dem dazugehörigen Friedensblog sind Artikel zu den Themen Friedensbewegung, Vernetzung und Solidarität zu finden. Im Gespräch mit Transition News stellt sich der Friedensaktivist Fragen zum Ukraine-Konflikt, zur Friedensbewegung und zur Rolle der Internationalen Friedensfabrik.

Transition News: Wie ist die Idee zur Gründung der Internationalen Friedensfabrik Wanfried und zur Entstehung des Friedensblogs entstanden?

Wolfgang Lieberknecht: Meine Vorfahren produzierten in Wanfried Polstermöbel und mein Grossvater baute ein Fabrikgebäude. Das Unternehmen führte mein Vater weiter. Er erwartete, dass ich das Geschäft später ebenfalls übernehmen würde. Inspiriert von Lehrern, die von den Universitäten kamen und die Ideen der 1968er Bewegung mit an unsere Schule brachten, gewann ich aber Interesse an ganz anderen Themen: Zuerst die kritische Auseinandersetzung mit der Politik, die unsere Elterngeneration mitgetragen hatte, den Nationalsozialismus, den von ihnen angezettelten Weltkrieg und die Tötung von Minderheiten. Kaum einer dieser Generation war auch nur zu einer Diskussion bereit, ob das richtig oder falsch war. Ich war also darauf angewiesen, mir mein eigenes Weltbild zu erarbeiten.

Während in der Öffentlichkeit damals die Politik der USA als der demokratische Gegenentwurf zum Nationalsozialismus dargestellt wurde, erreichte uns die Anti-Vietnambewegung aus den USA. Sie protestierte dagegen, dass die USA einen Angriffskrieg auf Vietnam führte, Millionen Vietnamesen tötete und auch Zehntausende junger US-Amerikaner in den Tod schickte. Im Alter zwischen 16 und 25 Jahren war ich auf der Suche nach dem Sinn meines Lebens. Und den sah ich nicht in der Polstermöbelproduktion, sondern im Ringen um Frieden, soziale Gerechtigkeit und Demokratisierung. Mein Vater stellte die Produktion ein, weil es keinen Nachfolger an der Unternehmensspitze gab. Ich erbte dann nach seinem Tod das Fabrikgebäude. Seither suche ich nach Wegen, es nutzbringend in die Friedensbewegung einzubringen.

Geprägt ist mein Engagement heute nach vielen Niederlagen beim Kampf gegen das Negative von dem humanistischen Revolutionär Antonio Gramsci: «Wenn du etwas Schlechtes überwinden willst, reicht es nicht, das Schlechte zu kritisieren, du musst etwas Besseres aufbauen.» Ich suchte also die Ansatzpunkte für Besseres und fand sie – auf dem Papier – in der UNO-Charta, der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, dem UN-Sozialpakt und UN-Zivilpakt. Ich sah aber auch, dass diese guten Lehren aus den beiden Weltkriegen nicht die Ereignisse in der Welt und die Politik der Staaten bestimmen. Es fehlt bis heute die politische Kraft, die programmatischen und personellen Kapazitäten, sie durchzusetzen. Und die kann nur in jedem von uns selbst, in unseren einzelnen Staaten und in weltweiter Zusammenarbeit aufgebaut werden. Dabei herrscht ein Konflikt mit denen, die vom heutigen Zustand profitieren. Kant beschreibt das gut in seiner Schrift «Zum ewigen Frieden»: Die Oben lieben den Krieg, sie können durch ihn ihre Macht erweitern und sterben nicht im Krieg und zahlen nicht für ihn. Dazu setzen sie ihre Untertanen ein und nur, wenn die sich wehren, gibt es eine Chance, Frieden durchzusetzen.

Die führenden Parteien in den USA vertreten den Standpunkt, dass die USA das Recht haben, das Weltgeschehen zu entscheiden. Sie setzten und setzen dafür auch Gewalt und Krieg ein und suchen alles, um das Aufkommen von Kräften zu verhindern, die ihre Machtstellung gefährden könnten. Russland und China und immer mehr Staaten des globalen Südens lassen sich das aber nicht mehr gefallen. Und sie sind stärker als je zuvor. Wenn sich in den USA nicht die Strömung durchsetzt, die etwa der US-amerikanische Ökonom Prof. Jeffrey Sachs repräsentiert, rechne ich mit einem Vielfrontenkrieg, der wahrscheinlich zum Ende der Bewohnbarkeit der Erde führen wird.

Welche Rolle spielt die Internationale Friedensfabrik auf lokaler, nationaler und internationaler Ebene?

Wir stehen im Austausch mit der US-Friedensinitiative Worldbeyondwar und mit aktiven Menschen in Afrika, vor allem in Algerien und Ghana. In der Ära Gorbatschow haben wir eine Partnerschaft aufgebaut mit einer Stadt bei Moskau. Diese zielt darauf, für die Vision Gorbatschows, ein europäisches Haus zu bauen, ein Fundament in den Gesellschaften zu schaffen. Ich war wiederholt in Russland und wir organisierten Besuche von Russen hier. Als sich der Konflikt seit 2014 zuspitzte, haben wir zwei Friedensaktionen mit einem russischen Blasmusikorchester aus der Partnerschadt Istra in Wanfried organisiert. Wir setzen auf den Dialog zwischen den einfachen Leuten und darauf, dass wir von unten Lösungen und Kompromisse finden, um sie dann gegen die Oberen durchzusetzen, die von den Konflikten profitieren oder im Freund-Feind-Denken beharren.

Haben Sie bemerkt, dass sich seit Beginn des Ukraine-Kriegs mehr Menschen mit dem Thema Frieden beschäftigen?

Inzwischen fühlen mehr Menschen, dass der Konflikt auch für sie persönlich gefährlich werden könnte und sehen tagtäglich, wie ihr Einkommen angesichts der Inflation zerrinnt. Die Suche nach Alternativen zur herrschenden Politik bekommt ein Fundament in der Gesellschaft.

Nur wenige Politiker und Intellektuelle sprechen sich offen für Friedensverhandlungen aus. Das Manifest für Frieden von Alice Schwarzer und Sahra Wagenknecht sorgte für Polemik in den Medien. Wie erklären Sie sich diese Reaktion?

Die politisch dominierenden Kräfte und Medien, die für einen Sieg über Russland eintreten, stellen diesen Weg als alternativlos dar. Er widerspricht aber den Grundüberzeugungen der deutschen Gesellschaft seit Willy Brandt, die auf Entspannung und internationale Zusammenarbeit setzte. Sie diskriminieren jedes Aufkommen von Kräften, die nach Lösungen in diesem Sinne suchen.

Sollte es in Ihren Augen mehr Friedensdemonstrationen geben?

Ja, aber ich sehe den entscheidenden Weg im Aufbau einer überparteilichen gesellschaftlichen Strömung in der Gesellschaft, die sich in überparteilichen Foren in den Wahlkreisen organisiert und den öffentlichen Dialog mit ihren Abgeordneten sucht, was der richtige Weg in der Ukrainepolitik ist.

Welche Rolle können Ihrer Meinung nach die Medien spielen, um friedliche Lösungen zu fördern und bei den Menschen das Bewusstsein dafür zu schärfen, wie wichtig solidarische und menschenwürdige Lebensbedingungen sind?

Den Aufbau von Informationsvernetzung jenseits der Mainstream-Medien halte ich für grundlegend nötig. Das Internet bietet uns Möglichkeiten wie keiner Generation vor uns. Aber wichtig ist der Aufbau persönlicher solidarischer Netzwerke, in denen man sich stärkt und an der gemeinsamen Kompetenz für öffentliche Aktionen arbeitet.

Welche Prognose stellen Sie: Wie lange wird der Ukraine-Krieg noch dauern? Was sind nun die wichtigsten Schritte, um Frieden zu schaffen?

Russland sieht die Ausdehnung der NATO an ihre Grenze als existentielle Bedrohung an und die Ausdehnung nationalistischer, antirussischer Kräfte aus der Westukraine als existentielle Bedrohung der russischsprachigen Minderheit in der Ostukraine. Sie werden nicht aufgeben, bis diese Minderheit geschützt ist und die NATO von ihrer Grenze weggehalten wird. Da aber die USA die Nationalisten unterstützt und auf der NATO-Mitgliedschaft der Ukraine besteht, rechne ich mit einem langen Krieg, der noch vielen Menschen das Leben kosten und uns in Europa arm machen wird. Im Sinne von Antonio Gramsci bin ich Pessimist der Analyse, aber Optimist des Willens, dass wir es doch schaffen, in unseren Ländern und weltweit den politischen Willen zu einer friedlichen Konfliktlösung und zum Überleben aufzubauen. Dafür engagieren wir uns.

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Die Internationale Friedensfabrik Wanfried organisiert am Ostersonntag, 9. April 2023, von 14 bis 16 Uhr einen Friedensspaziergang auf der früheren Ost-West-Grenze in Grossburschla.

Wolfgang Lieberknecht zu dieser Veranstaltung:

«1990 haben wir in der Charta von Paris beschlossen, ein gemeinsames europäisches Haus mit Russland aufzubauen. Jetzt steht das ukrainische Zimmer in Flammen. Menschen verbrennen. Das Feuer droht sich auszubreiten. In andere europäischen Länder, vielleicht auch auf die Welt: Als Menschheit droht uns die Eskalation zum Welt- und Atomkrieg. Der Krieg in der Ukraine kostet täglich vielen Menschen das Leben oder die Gesundheit, die Väter, Kinder und Geschwister. Er treibt in der Ukraine, in Russland, in Deutschland, Europa und weltweit immer mehr Menschen in Existenzunsicherheit und Armut. Für diesen Krieg ist nicht nur Putin verantwortlich, sondern auch der Westen und besonders die USA und die ukrainische Regierung. Sie alle haben versagt, die Konflikte zwischen der NATO und Russland und in der Ukraine mit friedlichen Mitteln zu lösen.

Das wäre ihre Verpflichtung nach der UNO-Charta gewesen. Wir wollen sie mit einen Friedensspaziergang am Ostersonntag an diese Verpflichtung erinnern. Wir wollen von der Politik Massnahmen einfordern für ein schnelles Ende des Krieges in der Ukraine und einen sofortigen Waffenstillstand, um das Sterben zu stoppen. Wir treffen uns dazu auf der hessisch-thüringischen Grenze mitten in Deutschland in Grossburschla. Der Ort war bis 1989 gespalten in zwei Staaten: DDR und BRD und Militärbündnissen: NATO und Warschauer Pakt. Diese Grenze konnte 1989 friedlich überwunden werden, vor allem und fast ausschliesslich dank einer Neuorientierung der Politik in der Sowjetunion durch Gorbatschow.

Mit unserem Spaziergang wollen wir daran erinnern, dass Konflikte mit friedlichen Mitteln gelöst werden können. Wir laden Menschen aus Ost und West dazu ein, wenn möglich auch aus anderen Ländern. In der Friedensfabrik haben wir auch einige Schlafplätze für Menschen, die aus anderen Regionen teilnehmen wollen. Wir geben nicht auf, den Bau eines gemeinsamen europäischen Hauses fortzusetzen. Wir wollen mit dem Friedensspaziergang auch an die mutige Politik von Michail Gorbatschow erinnern und an Egon Bahr, den Partner von Willy Brandt bei der Gestaltung der Entspannungspolitik. Er wurde in Treffurt geboren, zu dem Grossburschla heute gehört.»

Die Veranstalter planen, eine Online-Beteiligung zu ermöglichen. Anmeldungen unter: info@internationale-friedensfabrik-wanfried.org, Weitere Informationen: Tel.: Wolfgang Lieberknecht: +49-176-437 733 28 und auf Facebook. Der Verein freut sich über weitere personelle und finanzielle Unterstützung.

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Foto: zVg

Wolfgang Lieberknecht ist 70 Jahre alt und Rentner. Er hat als Schriftsetzer, Bandarbeiter, Diplom-Ökonom und Journalist gearbeitet und war parallel dazu immer ein bemühter Friedensarbeiter. Der Friedensaktivist wohnt in Wanfried an der hessisch-thüringischen Grenze.

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