Horst D. Deckert

Energiepolitik: Das Ende der deutsch-französischen Freundschaft?

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Edgar L. Gärtner

Um das klar zu stellen: Von echter Freundschaft zwischen den schon seit dem Mittelalter verfeindeten Nachbarstaaten Deutschland und Frankreich konnte auch nach der Unterzeichnung des Elysée-Vertrages zwischen Konrad Adenauer und Charles de Gaulle vor nunmehr 60 Jahren allenfalls auf privater Ebene die Rede sein. In der Wirtschaftspolitik arbeiteten die Regierungen meistens gegeneinander und höchstens nach außen hin einvernehmlich zusammen. Seit einigen Wochen ist aber nun auch offiziell von deutsch-französischer Freundschaft kaum noch die Rede. Wichtigster Stein des Anstoßes ist, wie bereits hier berichtet, das in der EU geltende Merit Order System der Strompreisfindung, das heißt die Ausrichtung des Strompreises an den Produktionskosten der teuersten Anbieter. Dieses Regelung verwehrt es den Franzosen, von den günstigen Produktionskosten seiner zahlreichen Kern- und Wasserkraftwerke zu profitieren.

Der Zustand der Elektrizitätsversorgung Frankreichs ist beinahe so beängstigend wie der Deutschlands – aber aus anderen Gründen. Der seit dem vergangenen Jahr wieder unter staatlicher Kontrolle gekommene Strom-Gigant Électricité de France (EDF) beendete das Geschäftsjahr 2022 mit einem Nettoverlust von fast 18 Milliarden Euro. Dadurch stieg die Verschuldung des Konzerns auf fast 65 Milliarden Euro. Im Jahre 2021 hatte der Konzern noch einen Gewinn von über 5 Milliarden Euro gemeldet. Eigentlich hätte der Konzern auch im Jahre 2022 schwarze Zahlen schreiben müssen, denn sein Umsatz stieg um 70 Prozent auf ungefähr 144 Milliarden Euro. Doch die Politik der EU-hörigen Regierung unter Präsident Emmanuel Macron und Premierministerin Elisabeth Borne verdarb dem eigentlich nicht schlecht aufgestellten Konzern das Geschäft.

Wegen der in Frankreich besonders drakonisch durchgezogenen Politik des Einsperrens der Bevölkerung, um eine angebliche Pandemie aufzuhalten, wurden die Wartungs-Intervalle der 56 Kernreaktoren nicht eingehalten. Hinzu kam die Entdeckung von Korrosionsproblemen an einer Reihe von Kernteaktoren. Das führte dazu, dass nach dem Ende der „Pandemie“ etwa die Hälfte der verfügbaren Reaktoren wegen Wartungs- und Reparaturarbeiten abgeschaltet werden musste. Die nukleare Elektrizitätsproduktion sank dadurch im Jahre 2022 auf den historischen Tiefstand von lediglich 279 TWh – gegenüber 430 TWh im Jahre 2005. EDF musste teuren Strom aus dem Ausland, vor allem Deutschland zukaufen, um einen Blackout zu vermeiden. Gleichzeitig musste der Konzern jedoch aufgrund eines im Jahre 2010 erlassenen Gesetzes 100 TWh zum Schleuderpreis von 42 Euro je MWh an „alternative“ Wettbewerber abgeben. Das kostete EDF 8,34 Milliarden Euro.

Wegen der Entscheidung der Regierung, die Endverbraucher unter einen Tarif-Schutzschild (bouclier tarifaire) zu stellen, um diese von der allgemeinen Preissteigerung für Energieträger vor und nach dem Ausbruch des Ukraine-Krieges auszunehmen, durfte EDF seinen Stromtarif für Privatverbraucher zunächst gar nicht und später auch nur moderat anheben. Hinzu kommen weitere Vergünstigungen für Mitarbeiter und Privatkunden, die auf den starken Einfluss linker Gewerkschaften auf die Geschäftspolitik von EDF zurückgehen. Bei jedem größeren Konflikt drohen die Gewerkschaften mit der Abschaltung von Kernkraftwerken und machen manchmal auch davon Gebrauch. EDF zahlt daher dem Gros seiner Mitarbeiter ohnehin Gehälter, die im nur schwach entwickelten französischen Mittelstand nicht erreicht werden können. Selbstverständlich erhalten die Mitarbeiter ihren Strom fast umsonst. (Auch meine Frau und ich konnten übrigens noch bis vor kurzem davon profitieren, da meine schon im letzten Jahrhundert verstorbene Schwiegermutter bei EDF als Buchhalterin gearbeitet hatte.) Ein Prozent des Konzern-Umsatzes geht an die von den Gewerkschaften kontrollierte Caisse centrale d’activités sociales (CCAS), die u.a. Ferienzentren und Kultur-Einrichtungen betreibt. CCAS zählt etwa 5.000 Angestellte.

Da der „bouclier tarifaire“ sich nun sowohl für den Staat als auch für EDF als unbezahlbar erweist, schlägt die Strompreis-Festsetzung gemäß dem Merit Order System der EU nun zunächst auf die Kleinunternehmen und bald auch auf die Privatverbraucher durch. Zwar konnte EDF seinen Rückstand bei der Wartung und Reparatur seiner Kernreaktoren im vergangenen Jahr ein gutes Stück aufholen. Noch immer fallen aber etliche Reaktoren wegen Reparatur- und Wartungsarbeiten aus. So rechnet Luc Rémont, der neue Chef von EDF, für dieses Jahr vorsichtig nur mit einer Nuklearstrom-Produktion zwischen 300 und 330 TWh, was noch immer nicht allzu weit von dem im vergangenen Jahr erreichten Tiefstand läge. Die französischen Stromkunden haben also ein weiteres schweres Jahr vor sich, zumal die Alpen in diesem Winter kaum Niederschläge abbekommen haben und Stauseen bis zum Sommeranfang möglicherweise halb leer bleiben werden. Erst 2024 könnten die Franzosen wohl wieder von den Vorteilen der Kernenergie profitieren, wäre da nicht das europäische Merit Order System (MOS) der Strompreis-Festlegung, in dem der Strompreis im Wesentlichen vom Gaspreis bestimmt wird und somit der Politik der Berliner Ampel-Regierung dient.

Wie ich bereits berichtete, steht die französische Regierung seit einigen Monaten vor allem seitens kleiner und mittlerer Privatunternehmen, inzwischen aber zunehmend auch seitens der Endverbraucher unter starkem Druck, dem Beispiel Spaniens und Portugals folgend aus dem MOS auszuscheren. Es war erwartet worden, dass Macron und seine Minister diesen Konflikt auf dem großen deutsch-französischen Ministertreffen anlässlich des 60. Jahrestags des Élysée-Vertrags im Januar 2023 zur Sprache bringt. Doch Macron zögerte. Inzwischen ist er aber offenbar, wie die „Frankfurter Allgemeine“ meldet, auf offenen Konfrontationskurs mit Berlin gegangen. Er setzt nun offenbar auf eine Vertiefung der nuklearen Zusammenarbeit mit den USA und sieht sich auch durch die Internationale Energieagentur (IEA) bestätigt, die ein weltweites Comeback der Kernenergie erwartet.

Ausschlaggebend für diese Wendung war offenbar die sture Haltung unseres grünen Wirtschaftsministers Robert Habeck, der der EU-Kommission am 20. Februar nahelegte, ihren für den 14. März angekündigten Vorschlag für den Umbau des europäischen Strom-Marktes auf die Zeit nach den Wahlen zum Europa-Parlament im Jahre 2024 zu verschieben. Stattdessen gab er den Start einer Diskussions-Plattform zum Strommarktdesign für ein klimaneutrales Stromsystem bekannt, über deren Diskussionsstand halbjährlich berichtet werden soll. Robert Habeck erklärte bei der Vorstellung der Plattform: „In der Debatte über das klimaneutrale Stromsystem werden wir uns jetzt damit beschäftigen, wie wir günstige Strompreise sicherstellen; wie wir die richtigen Investitionssignale setzen, damit in Erneuerbare Energien und in Wasserstoff-Kraftwerke investiert wird, und wie das System flexibel wird. Wir brauchen ergänzend zum Netzausbau die regionale Steuerung von Erzeugung und Lasten wie Elektrolyseuren in der Nähe von Offshore-Gebieten. Außerdem sollte Erneuerbarer Strom vor Ort genutzt werden können, anstatt aufgrund von Netzengpässen abgeregelt zu werden.“ Weiter heißt es in der Pressemitteilung des Habeck-Ministeriums: „Die Plattform Klimaneutrales Stromsystem soll in vier thematischen Arbeitsgruppen Optionen zur Weiterentwicklung des Strommarktdesigns ergebnisoffen diskutieren und fundierte Vorschläge erarbeiten. Dabei sollen in einem partizipativen Prozess die verschiedenen Sichtweisen der Akteure im Strommarkt genutzt und zusammengeführt werden. Eine Gruppe soll sich auf effiziente Investitionsanreize für erneuerbare Energien fokussieren, eine zweite auf steuerbare Kapazitäten, um die Versorgungssicherheit jederzeit zu gewährleisten. Weitere Arbeitsgruppen behandeln die Flexibilisierung der Stromnachfrage sowie die Nutzbarmachung netzdienlicher Marktsignale. In einem Plenum werden die Vorschläge zusammengeführt.“ Die Franzosen können darin nur eine Verzögerungstaktik erkennen.

Vor diesem Hintergrund ist es nur allzu verständlich, dass Paris sich nun gegen das Projekt der Wasserstoff-Pipeline H2Med zwischen Spanien, Frankreich und Deutschland sperrt. Paris gab die Zusage zu diesem Projekt ohnehin nur unter der Bedingung, dass Berlin, im Einklang mit dem EU-Parlament und der EU-Kommission, nuklear erzeugten Wasserstoff (H2) zumindest als „kohlenstoffarm“ anerkennt. Die Ampel-Regierung in Berlin will aber nur mithilfe von Wind und Sonne erzeugten Wasserstoff als „grün“ anerkennen. Habeck und seine Mitarbeiter spüren offenbar, das ganze Lügengebäude um die „Erneuerbaren“ könne rasch in sich zusammenfallen, wenn sie auch nur in einem Punkt Zugeständnisse an den gesunden Menschenverstand machen. Der grüne Wasserstoff gemäß deutscher Definition müsste aber in Nordafrika erzeugt werden, um auch nur halbwegs bezahlbar zu sein. Paris setzt dagegen auf nuklear erzeugten Wasserstoff, der deutlich preiswerter wäre. Inzwischen gilt der energiepolitische Streit zwischen Berlin und Paris als so virulent, dass kompetente Beobachter nicht ausschließen, dass dieser (und nicht der Euro, die Migrationskrise oder der Ukraine-Konflikt) zur Sprengung der EU führen könnte. Manch einer fragt schon, ob es die EU im Jahre 2024 noch geben wird.

 

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