Horst D. Deckert

Europäische Linksliberale drohen, die Debatte über die „Rechtsstaatlichkeit“ anzuheizen

Auch Brüssel könnte durch den Abgang von Angela Merkel erschüttert werden

Von Judit Tamara

Eine Verschärfung der Rechtsstaatsdebatte und eine Neuordnung des Kräfteverhältnisses in der EU könnten die Folge sein, wenn die Linke in Deutschland an die Macht kommt. Die europäischen Liberalen haben bereits davor gewarnt, dass dann stärkere Winde in Richtung Mitteleuropa wehen könnten. Und die deutschen Wahlen haben eine sichere Verliererin in Brüssel: Ursula von der Leyen, die die erste Person in der Europäischen Kommission unter Angela Merkels Kompromissarbeitsmethode wurde.

Nach den gestern veröffentlichten Daten des Meinungsforschungsinstituts Kantar, die in der vergangenen Woche erhoben wurden, besteht bei den christlichen Unionsparteien nach wie vor Anlass zur Sorge: Wenige Tage vor der Bundestagswahl unterstützen 25 Prozent der Befragten die Sozialdemokraten und 21 Prozent würden für das konservative CDU/CSU-Bündnis stimmen. Die deutschen Grünen könnten der Kantar-Umfrage zufolge mit sechzehn Prozent Zustimmung knapp dahinter auf Platz drei landen. Die Beliebtheit der CDU/CSU stieg erst Mitte September wieder über 20 Prozent, während ihr Kanzlerkandidat Armin Laschet in allen drei Fernsehdebatten der Bewerber hinter dem Linkskandidaten Olaf Scholz landete.

Der Ausgang der Abstimmung am Sonntag wird auch in Brüssel mit Argusaugen beobachtet, wo die Nach-Merkel-Ära nicht nur die Machtverhältnisse in der EU durcheinander bringen, sondern auch personelle Veränderungen mit sich bringen könnte.

Als treibende Kraft der EU hat Deutschland eine offensichtliche Rolle bei der Gestaltung der europäischen Politik zu spielen, und die Kompromissbereitschaft der scheidenden Kanzlerin und ihr ständiges Bemühen um die Einheit der Integration werden von der Brüsseler Presse als „legendär“ bezeichnet.

Dies war das greifbare Ergebnis der jüngsten Einigung über das gigantische Finanzpaket der EU in Höhe von 1.800 Milliarden Euro und davor über die Vergabe der europäischen Spitzenposten für 2019. Die Leser werden sich vielleicht daran erinnern, dass auf dem EU-Gipfel im Dezember letzten Jahres das ungarische und das polnische Haushaltsveto sowie der Rechtsstaatlichkeitsstreit unter der Schirmherrschaft der deutschen EU-Ratspräsidentschaft vorübergehend beigelegt wurden. Kein Wunder also, dass sich die linksliberale Seite der europäischen Politik seit Monaten die Zähne ausbeißt, um sich auf die Möglichkeit eines linken Kanzlers vorzubereiten: Auf Euronews versprachen linke und grüne Europaabgeordnete neulich, dass eine gemeinsame Berliner Regierung einen grundlegenden Richtungswechsel in der EU bringen könnte. Ein langjähriger Kritiker der ungarischen Regierung, der deutsche Europaabgeordnete der Grünen, Sergej Lagodinsky, forderte ausdrücklich eine Wiederbelebung der Rechtsstaatlichkeitsdebatte und meinte, dass

ein sozialdemokratischer Führer den Wind aus Brüssel in Richtung Ostmitteleuropa verstärken wird.

Der ehemalige politische Berater des polnischen Premierministers Mateusz Morawiecki hat diese Möglichkeit gegenüber der Deutschen Welle nicht bestritten und gesagt, dass die in Ostdeutschland geborene Merkel trotz der Kontroversen eine Kanzlerin sei, die „die Polen versteht“. Armin Laschet, der Kanzlerkandidat der CDU, versprach kürzlich in Warschau, dass er selbst eine praktische Lösung für den Rechtsstaatlichkeitsstreit finden wolle.

Während der Ausgang des letztgenannten Verfahrens noch offen ist, sehen Analysten Ursula von der Leyen, die derzeitige Präsidentin der Europäischen Kommission, als klare Verliererin der Nach-Merkel-Ära. Es sei daran erinnert, dass Von der Leyens Aufstieg an die Macht auch das Ergebnis von Merkels kompromissbereitem Ansatz bei der Arbeit ist. Mit dem Ausscheiden der Bundeskanzlerin verliert die Präsidentin eine enge Verbündete. Politico, das führende Magazin für EU-Angelegenheiten, das von der Leyen im Allgemeinen wohlgesonnen ist, wies kürzlich darauf hin, dass die Kommissionspräsidentin in ihrer eigenen Partei, der CDU/CSU-Gruppe, die den Kern der EVP-Fraktion im Europäischen Parlament bildet, nicht unpopulär ist. Die Brüsseler Zeitung vermutet, dass Laschet im Falle seiner Niederlage in Emmanuel Macron einen Verbündeten auf EU-Ebene finden wird.

Als Zeichen der Bewegung in der europäischen Politik haben die Sozialdemokraten in Straßburg vor Wochen den Ausgang der deutschen Wahlen zum entscheidenden Faktor für den nächsten Präsidenten des Europäischen Parlaments gemacht. Die Position war bisher fest in der Hand der EVP, aber die Vorsitzende der Sozialdemokratischen Fraktion, Iraxte García Perez, hat sich für eine mögliche Entthronung mit der Begründung der „Umgestaltung der politischen Landkarte Europas“ ausgesprochen.

Quelle: Magyar Nemzet


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