Horst D. Deckert

Hast du eine andere Meinung, dann bist du ein Spion

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Das gilt offenbar für Habecks Bundeswirtschaftsministerium. Dort stehen Mitarbeiter unter dem Verdacht, „zu viel Verständnis für die russische Sicht“ zu haben. McCarthy in Deutschland. Ein NachDenkSeiten-Leser berichtet über diesen Vorgang mit Berufung auf „Die Zeit“ und den österreichischen „Standard“. Ein interessanter Vorgang, der zeigt, wie verrückt die Zeiten geworden sind. Am Ende noch eine Anmerkung auf der Basis persönlicher Erfahrungen im BMWi. Albrecht Müller.

Leserbrief von MM

Lieber Albrecht Müller, heute möchte ich Sie auf diesen Bericht im österreichischen “Standard” hinweisen. Die Deutschlandkorrespondentin des Blatts, die den Grünen sehr gewogene Birgit Baumann, berichtet darin unter Berufung auf die “Zeit” über einen angeblichen Spionagefall im deutschen BMWi (Betonung liegt auf angeblich). Ich fand den geschilderten Vorgang so vielsagend wie erschütternd – aber (leider!) sehr gut passend in die heutige Zeit mit ihrer Verdachtsberichterstattung, Cancel Culture und Russophobie. Daher meine Nachricht.  

So Ihnen der Fall nicht bekannt sein sollte – hier einige Auszüge aus dem Artikel, dann nochmals ein paar Gedanken meinerseits. Der Originalbericht der “Zeit” ist hinter einer Bezahlschranke: 

„Der Verfassungsschutz geht einem brisanten Verdacht nach: Zwei leitende Beamte in Robert Habecks Ressort könnten für Moskau spioniert haben (…). 

Immerhin war der Sachverhalt Habeck nicht neu. Denn laut “Zeit” hat das Ministerium selbst den Verfassungsschutz eingeschaltet. “Es geht um einen bitterbösen Verdacht”, schreibt die “Zeit” und schildert die Angelegenheit so: Im Frühjahr hätten sich Habecks Vertraute an das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) gewandt und um Amtshilfe gebeten. Denn in internen Papieren bezüglich der umstrittenen Gaspipeline Nord Stream 2, des Füllstands der deutschen Gasspeicher und des Berichts über die Versorgungssicherheit Deutschlands waren sie auf Ungereimtheiten gestoßen. 

Viele Unterlagen, so heißt es, hätten nur so von Verständnis für die russische Sicht getrieft, auffällig sei gewesen, dass die Argumentation in den Papieren oftmals nicht zur offiziellen Linie der deutschen Regierung gepasst habe. Bei allen großen Diskussionen des Winters, die sich um das Thema Gaslieferungen drehten, hätten die für das Thema zuständigen Ministerialbeamten eine Position eingenommen, die “meilenweit” von der politischen Linie ihres Ministers abgewichen sei: bei der Entscheidung, Nord Stream 2 nicht in Betrieb zu nehmen; bei Gazprom Germania, das von Habeck im April unter treuhänderische Verwaltung gestellt wurde; oder bei der milliardenschweren Rettung des Gasversorgers Uniper. Von “Obstruktion” sei in der Bundesregierung die Rede. 

Die Wochenzeitung schreibt, die Verfassungsschützer hätten die Lebensläufe der verdächtigen Beamten daraufhin überprüft und seien auf “biografische Auffälligkeiten” gestoßen, in einem Fall etwa einen Studienaufenthalt in Russland. Sie seien Reisebewegungen nachgegangen und hätten kontrolliert, ob Flüge ausschließlich dienstliche Hintergründe hatten oder ob es womöglich suspekte Abstecher gegeben habe. Und sie hätten sich private Freundschaften angeschaut.”

Danach sei von einer “emotionalen Nähe zu Russland” die Rede gewesen. Allerdings hätten sich dann im Fall der beiden Ministeriumsbeamten doch “bisher keine handfesten Beweise gefunden, dass es sich um einen Fall von Spionage oder auch Korruption handelt”. (…)“ 
 
Hier noch mal deckt Link auf die Quelle: derstandard.at/story/2000138703149/russischer-spionageverdacht-im-deutschen-wirtschaftsministerium

Nun weiß ich nicht, wie es Ihnen mit diesem Vorgang geht. Vielleicht ist er für Sie nicht so ungewöhnlich, weil in Ministerien Usus (ich bin kein Beamter und kenne mich mit den dortigen Gepflogenheiten nicht aus). Vielleicht finden Sie ihn aber wichtig für Ihre Leser oder möchten ihm gesondert nachgehen.

Mir zumindest stießen einige Punkte auf: zum einen die Sprache der Journalistin mit den üblichen abwertenden Signalwörtern wie “getrieft” et cetera, die wohl das nötige “setting” bereiten sollen. Von ihrer Kritiklosigkeit gegenüber dem Vorfall ganz zu schweigen. Anscheinend findet die Journalistin Baumann die ergriffenen Handlungen nachvollziehbar, wahrscheinlich sogar angeraten und richtig. Dabei erinnert das Geschilderte doch sehr an McCarthys Hexenjagd und Westdeutschland in den 1950ern – alle Wege führen nach Moskau und hinter jeder Ecke lauert der “Suffjet”! Und sei es in Gestalt von Beamten, die einfach bloß eine andere Meinung zu äußern wagen. Es

Natürlich finden sich auch keinerlei Beweise für irgendwelche strafrechtlichen Handlungen. Aber das ist alles sehr bezeichnend für unsere Zeit. Offensichtlich darf heute bereits ein Auslandsaufenthalt in Russland oder persönliche Bekanntschaften mit Russen als potentielle “biografische Auffälligkeit” gelten. Und Verstehen-Wollen oder Hineinversetzen ins politische Gegenüber und abweichende Argumentationen gelten als Fall für den Verfassungsschutz. Eigentlich hatte ich an der Uni mal gelernt, dass auch in Ministerialpapieren ein Thema aus mehreren Blickwinkeln beleuchtet und Kritik möglich sein sollte. Vielleicht ist das bloß ein weiteres Märchen gewesen, dem man sich im Elfenbeinturm hingibt. Auf jeden Fall bezweifle ich, dass Reisen nach Washington, Tel Aviv, oder Riad als “suspekte Abstecher” gelten. Das sind ja unsere wertvollen Verbündeten.

Angesichts solcher Vorgänge wundert es mich nicht, dass die Schere im Kopf, voreiliger Gehorsam und Duckmäusertum so um sich greifen – ob beim NDR, in den Ministerien und wahrscheinlich auch in der Wirtschaft. Wer makroökonomisch nicht neoliberal, gesellschaftlich nicht “woke” und außenpolitisch kein Transatlantiker ist, der hat es hierzulande verdammt schwer. 

Trotz allem mit besten Grüßen – und machen Sie bitte weiter mit Ihrer wichtigen Arbeit! 

Ihr MM  

Nachbemerkung Albrecht Müller:

Zunächst zur Frage, ob das Vorgehen der Leitung des BMWi Usus gewesen sei. Nach meiner Erfahrung nicht.

Meinen Weg in die Politik habe ich beim Bundeswirtschaftsministerium begonnen, damals als Redenschreiber des Bundeswirtschaftsministers Professor Dr. Karl Schiller. Verschiedene Meinungen waren selbstverständlich. Das ergab sich schon aus der personellen Konstellation. Das Bundeswirtschaftsministerium war eine Domäne von CDU/CSU und FDP, vollgepumpt mit Anhängern dieser Parteien. Diese blieben – damals selbstverständlich – auch noch unter sozialdemokratischer Leitung im Amt. Bei Schiller war der wichtigste Mitarbeiter Staatssekretär Schöllhorn, meines Wissens CSU nah. Sein Grundsatzreferent war Dr. Hans Tietmeyer (CDU). Dieser hatte enormen Einfluss auf Schiller und auf die Meinungsbildung im Ministerium. Dessen Chef als Abteilungsleiter der wichtigsten Abteilung I. war ein konservativer, wahrscheinlich zwischen CDU und FDP schwankender Politiker Beamter mit Namen Schlecht. Mit Ausnahme des von Schiller engagierten Leiters der Währungsabteilung Wilhelm Hankel waren alle anderen Abteilungsleiter noch zu Ludwig Erhards Zeiten berufen und konservativ. Auch deshalb gab es eine breite Spanne von Serie divergierenden Meinungen. Auch bei der Frage des Umgangs mit der Sowjetunion.

Der mit Schiller ins Amt gekommene Parlamentarische Staatssekretär Klaus-Dieter Arndt (SPD) würde heute ganz sicher in den Verdacht der Russennähe geraten. Damals hatte er die wichtige Aufgabe, den Handel mit der DDR und mit Osteuropa anzukurbeln. Das war erklärtes Ziel der sozialdemokratischen Seite in der großen Koalition.

Spätestens bei dem folgenden Vorgang wäre Klaus-Dieter Arndt in der McCarthy-Atmosphäre, wie sie heute herrscht, verdächtigt worden, ein Russenfreund zu sein. Noch gut in Erinnerung ist mir folgender Vorgang: am 21. August 1968 war ich bei ihm zur Besprechung einer Rede des Ministers. Während der Besprechung brachte seine Sekretärin eine sogenanntes Tickermeldung, also eine Meldung von dpa oder einer anderen Agentur. Er las mir die Meldung vor. Die Sowjetunion und Truppen des Warschauer Paktes waren in Prag gelandet, um den Prager Frühling zu ersticken. Sein Kommentar: Schrecklich, aber wir machen weiter – gemeint war die Politik des Abbaus der Konfrontation mit dem Osten, die sogenannte Ostpolitik, Entspannungspolitik, Friedenspolitik.

Damals war das Bundeswirtschaftsministerium ansonsten geprägt von der Wirtschaft und konservativen Kreisen. Die neue Ostpolitik war trotzdem möglich und durchaus unterstützt von einigen der traditionell konservativen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Heute ist das Bundeswirtschaftsministerium wie das Auswärtige Amt offensichtlich im Einflussbereich der USA. Wer von diesem Einfluss und der davon bestimmten Linie abweicht, wird dem Verfassungsschutz gemeldet. Irre Zeiten!

Titelbild: Mo Photography Berlin / Shutterstock

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