Horst D. Deckert

Hurra: Schikane gegen Arbeitslose kann weitergehen

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Die Debatte um das Bürgergeld, das Einknicken der Ampel-Koalition und das triumphale Auftreten der Verteidiger von Sanktionen gegen Arbeitslose müssen als Skandal bezeichnet werden. Das Lob vieler Medien und Politiker für das Fortführen eines erniedrigenden Systems gegen in Not geratene Bürger offenbart ein fragwürdiges Bild vom Zusammenleben. Die aktuelle Debatte zeigt: Mit einer Gesellschaft, in der sich Politiker und Journalisten in der nun erlebten Form auf dem Rücken von arbeitssuchenden Bürgern (erfolgreich) profilieren können, stimmt etwas nicht. Ein Kommentar von Tobias Riegel.

Die Einführung des Bürgergelds zählte – trotz dem Wunsch nach weitergehenden Änderungen – zu den wenigen Vorhaben der Ampelkoalition, die ich vorsichtig begrüßt hätte, zumindest als einen Schritt in die richtige Richtung. Dieser teils positive Eindruck hat sich in den letzten Tagen durch das Einknicken der Bundesregierung und das triumphale Auftreten der Verteidiger von Sanktionen gegen Arbeitslose fast ins Gegenteil verkehrt: In einer schrecklich effektiven Arbeitsteilung haben CDU-Politiker, zahlreiche Journalisten und Teile der Ampel-Koalition aus dem Bürgergeld (endgültig) eine Mogelpackung und einen Etikettenschwindel gemacht. Die diesem Akt folgende Siegerpose der CDU und die Beifall spendenden Beiträge vieler Medien kommen noch zusätzlich aufreizend hinzu.

In den letzten Tagen wurden von mehreren einflussreichen Gruppen die Schikanen gegen Arbeitslose als ein quasi für sich stehender gesellschaftlicher Wert dargestellt, den es zu „retten“ gelte. Die schnelle Reaktion der Bundesregierung auf diese falsche Darstellung erscheint als ein weiterer Beleg des bereits bewiesenen prinzipienlosen Charakters der Ampel-Koalition: Möglicherweise auch für die angestrebte Botschaft (etwa vor der Wahlwiederholung in Berlin), dass diese Bundesregierung schnell und „praktikabel“ handeln kann, wurden fast alle wichtigen Inhalte geopfert.

Wie dieser Akt des Einknickens dann auch noch als anpackende Politik verkauft werden soll, also Etikettenschwindel praktiziert wird, das hat die „Junge Welt“ unter der sehr treffenden Überschrift „Hartz IV heißt jetzt Twix: Ansonsten ändert sich nix“ beschrieben:

„Geändert wird nur der Name. (…) Das Sanktionsregime soll unverändert bestehen bleiben. Die geplante »Vertrauenszeit« von einem halben Jahr, in der »nur« Terminverstöße mit zehn Prozent Kürzung bestraft werden sollten, ist vom Tisch (…). Wer seine Mitwirkungspflichten verletzt, (…) soll vom ersten Tag an mit zehn Prozent Kürzung bestraft werden. Im zweiten Monat sollen ihm 20 Prozent, ab dem dritten Monat 30 Prozent gestrichen werden. Von einem Existenzminimum wohlgemerkt, das zu tief angesetzt ist. (…) Für reihenweise Hartz-IV-Bezieher wird die Einführung des Bürgergelds sogar eine Verschlechterung bedeuten.“

Diese Art der Politik ist wohl nach dem Geschmack vieler Medien. In einem Tagesthemen-Kommentar heißt es entsprechend:

„Ein ‚Systemwechsel‘ ist das Bürgergeld nicht. In Wirklichkeit steckt da noch viel Hartz IV drin. Und das ist gut!“

Von fragwürdigen Informationen in dem Kommentar zur Steuerlast hat André Tautenhahn bereits in den Hinweisen berichtet. Eine der grundfalschen Botschaften, die aus der Bürgergeld-Debatte klingt, ist die, dass die Schikanen der Ämter indirekt die „gerechte“ Folge des selbst verschuldeten Versagens seien. Eine andere lautet, dass es „Anreize“ (Schikanen) geben müsse, damit Bürger sich nicht einer „staatlich alimentierten Bequemlichkeit“ hingeben würden. Dazu schreibt etwa exemplarisch die „FAZ“:

„Dass die Ampelkoalition die ‚Vertrauenszeit‘ fallen ließ und darauf einging, die ‚Karenzzeit‘ zu halbieren und das ‚Schonvermögen‘ um fast die Hälfte zu senken, zeigt, dass die Union mit ihrer Kritik nicht ganz falsch lag. Durch alle drei Eingriffe werden die Anreize erhöht, die Jobsuche nicht zugunsten einer staatlich alimentierten Bequemlichkeit aus den Augen zu verlieren.“

Auch Medien aus der zweiten Reihe argumentieren in diese Richtung, so kommentiert etwa der „Donaukurier“:

„Geringverdiener müssen nun in aller Regel nicht zu der fatalen Erkenntnis kommen, dass Bürgergeldempfänger samt Zulagen vielleicht besser dastehen als sie selbst als regulär Arbeitende.“

Jede Abmilderung des Sanktionsregimes bei Hart-IV wäre meiner Meinung nach zu begrüßen, darum hatte ich das Bürgergeld vorsichtig als prinzipiell gutes Vorhaben betrachtet – doch durch die Debatte und das Einnicken der Regierung ist nun (zumindest auf dem Gebiet der „Moral“) sogar das Gegenteil des angeblich mit dem Gesetz angestrebten „Vertrauensvorschusses“ gegenüber betroffenen Bürger eingetreten: Eine Masse an diffamierenden Äußerungen wurde in den letzten Tagen über arbeitslosen Bürgern ausgeschüttet. Die pauschale Unterstellungen der Faulheit und des tendenziellen „Leistungsbetrugs“ wurden nicht etwa abgestellt, was ein indirektes Motiv des Bürgergelds war, sondern sie wurden durch die schlimme Entwicklung der Debatte jetzt nochmal gesteigert und erneuert.

Mit einer Gesellschaft, in der sich Politiker und Journalisten in der nun erlebten Form auf dem Rücken von Not leidenden Bürgern (erfolgreich) profilieren können, stimmt etwas nicht.

Titelbild: pathdoc / Shutterstock

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