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Indien – Der erwachende Löwe Asiens

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Indien – Der erwachende Löwe Asiens

Mit einer historischen dritten Amtszeit ist Narendra Modi dabei, Indien nachhaltig zu prägen. Mit seinem Kurs kann man in Europa mitunter nichts anfangen – dabei bietet er eine riesige Chance.

von Sebastian Thormann

In Wahllokal nach Wahllokal quer über einen Kontinent verteilt gaben in den letzten Wochen hunderte Millionen Wähler mit mehr als 22 verschiedenen Sprachen ihre Stimmen ab. Sie entschieden, wer künftig die Großmacht anführen soll, die sich anschickt, bald auf einer Ebene mit China und den USA im globalen Wettbewerb mitzuspielen.

Die Rede ist nicht von der EU, sondern von Indien. Die dortigen Parlamentswahlen Anfang Juni zählten mehr als doppelt so viele Wähler wie die EU. Wer führt also künftig als Premierminister die größte Demokratie der Welt an? Der Name lautet wieder Narendra Modi.

Trotz Einbußen seiner Partei konnte er mit seiner Wahlallianz problemlos eine neue Koalition bilden. Es ist damit seine dritte Amtszeit an der Spitze der Milliarden-Nation. Indien unter Modi – das scheint für deutsche Politiker mitunter ein politisches Rätsel zu sein. Denn die Außenpolitik des Landes passt nicht in das Schema, was man sich in Europa zurechtgelegt hat.

Einerseits hat das Land mit Putins Russland freundschaftliche Beziehungen, andererseits sucht man enge Beziehungen mit den USA – und sieht China so kritisch wie womöglich kein anderes, größeres westliches Land. Während etwa Washington vor kurzem einen TikTok-Bann bzw. Zwangsverkauf beschloss, ist die chinesische App in Indien schon seit vier Jahren verboten. Damals in Reaktion auf Grenzkämpfe mit Peking.

Und ja, es waren Kämpfe – während in anderen westlichen Ländern, die Sorge vor einem Konflikt mit China um sich geht, sind es indische Soldaten, die regelmäßig Attacken chinesischer Soldaten ausgesetzt sind und sich mit diesen stundenlange, blutige Kämpfe liefern. Ohne Schusswaffen – aber sonst scheint bei den Auseinandersetzungen im hohen Bergklima des Himalayas alles erlaubt zu sein. Mit Fäusten, Stöcken, Werkzeugen schlagen dort die Truppen der beiden Atommächte aufeinander ein.

Mehrere dutzend Soldaten sind so schon ums Leben gekommen. Mit der lose vereinbarten „Keine Schüsse“-Regel will man dort einen offenen Krieg verhindern – dass aber Pekings „Grauzonen“-Taktiken hier längst eine heiße Phase erreicht haben, ist unbestreitbar. Dass China und Indien immer im Dauerkonflikt sind, liegt aber nicht nur daran, dass Peking mal wieder eine seiner aggressiven Territorialansprüche durchsetzen will.

Der schlafende Löwe

Grund ist auch, dass Neu-Delhi das Potenzial hat, dem chinesischen Regime den Rang strittig zu machen, wenn es darum geht, wer das mächtigste Land in Asien ist. Indien ist der schlafende Löwe Asiens. Militärisch und wirtschaftlich ist es noch nicht dort, wo China steht; was die Bevölkerung angeht, hat es das Reich der Mitte aber bereits überholt. Und es ist fest dabei, seine Wirtschaft und das Militär zu modernisieren.

Um China gefährlich zu werden, mag das noch Jahrzehnte dauern, aber das Potenzial ist da, das ist Peking längst klar. Zumal Indien wohl mit Abstand das mächtigste Land einer sich langsam bildenden, losen Anti-China-Allianz in Asien ist. Das Land ist prominentes Gründungsmitglied der „Quad“, einer Gruppe asiatischer und pazifischer Länder, die sich Chinas Hegemonialanspruch widersetzt. Sie besteht neben Indien aus Australien, Japan und den USA.

Von allen verschiedenen Sicherheitskooperationen im Indo-Pazifik ist die „Quad“ auch deshalb spannend, weil sie eben speziell die Rolle asiatischer Länder stärkt. Bisher gängiges Konstrukt war das „hub and spokes“-Modell (zu Deutsch „Nabe und Speichen“). Das hieß: Die USA agierte als die Nabe („Hub“), die jeweils einzelne bilaterale Bündnisse mit anderen pazifischen Staaten, den „Speichen“ („Spokes“), hatte, ohne dass diese untereinander aber verbündet waren oder eng kooperierten. Das hatte vielerorts historische Gründe, etwa die japanischen Kriegsverbrechen im Zweiten Weltkrieg.

Man braucht nicht gleich eine asiatische NATO, aber um China in Schach zu halten, ist eine engere Kooperation unter den indopazifischen Staaten, die sich Chinas Hegemonialbestrebungen entgegenstellen, unabdingbar. Indien könnte da neben den USA selbst zu einem „Hub“ werden.

Für die Amerikaner ist Indien daher längst ein wichtiger und enger Partner. Trump und Modi unterstrichen ihre Freundschaft etwa mit gegenseitigen Rallyes, die Stadien füllten. Bei einem „Howdy Modi“-Event sprachen beide in Texas vor 50.000 Anhängern, eine „Namaste Trump“-Rallye im indischen Ahmedabad in Modis Heimatsstaats Gujarat zog mehr als 100.000 Zuschauer an.

In Europa dagegen beäugt man Modi skeptisch, sieht seine Regierung mitunter als Verbündeten Putins, weil sie nach der Ukraine-Invasion weiter wie gewohnt Geschäfte mit Russland macht und sich an einer internationalen Isolation des Regimes nicht beteiligt. Ist Modi also heimlich genauso ein Autokrat wie Putin? Nein. Auch wenn es im Land nicht die gleichen Standards zu Menschenrechten und Rechtsstaatlichkeit wie in Europa gibt, bleibt es die größte Demokratie der Welt und die jüngste Wahl hat das gezeigt: Modis Partei verlor dort gerade die absolute Mehrheit und muss eine Koalition bilden.

Stattdessen ist es schlicht so, dass die indische Außenpolitik die Welt auch primär aus den Augen Indiens sieht. Und da ist ein Krieg in einem Land im fernen Europa kein Grund, seine ausbalancierte Geopolitik über den Haufen zu werfen. Auch wenn man für Sicherheitsallianzen in Asien die Nähe zu Amerika sucht, sieht sich das Land nicht als Teil des Westens, sondern sucht einen Mittelweg. In der „BRICS“-Gruppe etwa, in der das Land gemeinsam mit Handelspartner Russland genauso wie mit Erzfeind China organisiert ist.

Nur, weil man auf den ersten Blick in Europa mit dieser ambivalenten Außenpolitik nicht viel anfangen kann, gibt es keinen Grund, Modis Indien in ein vermeintlich anti-westliches Lager einzusortieren. Im Gegenteil, Indien könnte tatsächlich eine Chance für Europa werden: und zwar als wirtschaftliche Alternative zu China. Wenn es um Absatzmärkte geht, mag Indien noch nicht dort sein, wo man heute China sieht.

Aber jetzt schon bietet sich das Land immer mehr als Alternative zu chinesischer Abhängigkeit an. Wenn der Westen schon in großem Stil seine Produktion ins Ausland outsourct, dann spricht eigentlich vieles dafür den aktuellen China-zentrierten Status quo zu ändern und zu diversifizieren. So, dass man eben nicht primär von einem kommunistisch-regierten Land mit imperialen Machtansprüchen abhängig ist, sondern entsprechendes Outsourcing auf mehrere Länder verteilt – und die Milliarden-Nation Indien ist da ein guter Kandidat.

Und genau in so eine Position will Modi sein Land auch bringen: Eine der Top-Exportnationen der Welt zu werden. Sein eigener, oft mystifizierter Aufstieg wird dabei gerne als Beispiel aufgeführt, für das, was im modernen Indien möglich ist: „Ihr alle seid Modi“, sagt der Mann, der vom Teehändler zum Premierminister wurde.

Ein rasanter wirtschaftlicher Aufschwung war auch das, was ihn auf die nationale Bühne katapultierte. Abgesehen von einem als zurückhaltend kritisierten Umgang mit anti-muslimischen Unruhen, war er in seiner Rolle als Regierungschef seines Bundesstaates Gujarat vor allem für Wirtschaftswachstum von neun Prozent pro Jahr bekannt.

Von dort stieg er auf zum Premierminister, ein Amt, was er nun schon seit mehr als 10 Jahren innehat. Mit seiner jetzt frisch gesicherten historischen dritten Amtszeit ist er auf dem Weg Jawaharlal Nehru, Indiens ersten Premierminister, in den Schatten zu stellen. Nehrus Politik und die seines Indischen Nationalkongresses prägte jahrelang Indiens Rolle in der Nachkriegszeit und des Kalten Kriegs. Damals fuhr man einen sozialistisch-säkularen, blockfreien Kurs – der sicherte gute Beziehungen zur Sowjetunion, hinderte aber Indiens wirtschaftlichen Aufstieg.

Modi und dessen BJP setzen auf eine völlig andere Politik: Wenn auch bei weitem nicht radikal-liberal, forciert man mit schrittweiser wirtschaftlicher Liberalisierung Indiens Aufstieg. Und auch wenn man weiterhin gute Beziehungen zu Russland sucht, ist man enger an die USA herangerückt und hat längst China als Hauptkonkurrent ins Auge gefasst. Innenpolitisch liefert seine Partei einen hindunationalistischen statt säkularen Kurs und Modi selbst betont immer wieder, dass sein Land auch bei der Modernisierung seine kulturellen Wurzeln nicht verlieren dürfe:

„Er wird Ihnen sehr oft sagen, dass kein gut regiertes Land der Welt erfolgreich sein konnte, indem es seiner eigenen zivilisatorischen Vergangenheit den Rücken kehrte“, zitiert das Wall Street Journal Hardeep Singh Puri, den Ölminister der Modi-Regierung und verweist auf Parallelen zu Japan, das sich ebenfalls in hoher Geschwindigkeit industrialisierte, ohne dabei die eigene Kultur aufzugeben.

Modis Indien wird jedenfalls weiterhin einen eigenen Weg gehen. Aber das Indien des 21. Jahrhunderts ist keineswegs anti-westlich, vielmehr gibt es in den großen geopolitischen Fragen unserer Zeit entscheidende Interessensüberschneidungen für den Westen, zumindest wenn man bereit ist, dafür auf Asien zu schauen, und nicht alles nach europäischen Konfliktlinien zu betrachten.

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