Horst D. Deckert

Landtagswahlen Sachsen-Anhalt: Nehmen Sie an, es sei um den Wählerwillen gegangen

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Das Ergebnis der Landtagswahlen in Sachsen-Anhalt ist eine Überraschung. Obwohl alle Prognosen vor der Wahl auf ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen der CDU und der AfD eingestimmt hatten, zuletzt INSA mit 29 Prozent für die CDU, 28 Prozent für die AfD, sieht das amtliche Endergebnis völlig anders aus: 37 Prozent für die CDU, nur 21 Prozent für die AfD. Es stellen sich ein paar Fragen.

von Max Erdinger

Mit 37 Prozent schnitt die CDU in Sachsen-Anhalt um satte 8 Prozent besser ab, als vorhergesagt. Die AfD hingegen schnitt um 7 Prozent schlechter ab, als vorhergesagt. Dafür gäbe es eine einfache Erklärung: Wahlprognosen sind eben Vorhersagen – und Wahlergebnisse sind die Korrektur der Vorhersagen. Wenn der Unterschied zwischen Prognose und Ergebnis aber so eklatant ist wie hier, stellt sich automatisch eine weitere Frage: Worauf könnte man verzichten? Auf die Prognosen oder auf die Wahl? Wer der Ansicht ist, daß bei Wahlen noch immer alles mit rechten Dingen zugehe, würde natürlich antworten, daß offensichtlich die Prognosen so überflüssig sind wie ein Kropf. Das sind sie auch, wenn auch aus einem anderen Grund: Die Veröffentlichung von Wahlprognosen dient nur zum Schein der Information des Wählers, tatsächlich dienen sie seiner Beeinflußung. Der Mensch ist schließlich ein Herdentier, das seine Entscheidungen wesentlich davon abhängig macht, was es über das Verhalten der anderen Herdentiere zu wissen glaubt. Unvergeßlich bleibt das ARD-Trendbarometer zur US-Wahl 2016, als Jörg Schönenborn in den ARD-Tagesthemen die Einschätzungen deutscher Befragter zum voraussichtlichen Wahlausgang in den USA präsentierte: Clinton 81 vs. Trump 9. Gewonnen hat die US-Wahlen 2016 bekanntlich Herr Donald Trump. Das war eine harmlose, fast schon drollige Prognose damals, weil sich in den USA natürlich niemand für ein ARD-Trendbarometer zu den US-Wahlen interessiert. Entlarvend war es trotzdem.

Die wohlwollende Unterstellung

Was Sachsen-Anhalt betrifft, ist die wohlwollende Unterstellung also die, daß die zuvor veröffentlichten Prognosen den Humbug darstellen, der dann vom Wahlergebnis als ein solcher entlarvt wurde. Conclusio: Wahlprognosen sind überflüssig. Die Veröffentlichung von Wahlprognosen kann künftig unterbleiben. Sie sollte auch unterbleiben, da sie ihrer meinugsmanipulativen Kraft wegen im Grunde undemokratisch ist.

Die argwöhnische Unterstellung

Wer aber seit der skandalösen Erfahrung mit der Ministerpräsidentenwahl in Thüringen im Februar 2020, als ein rechtmäßig gewählter Ministerpräsident trotzdem nicht Ministerpräsident bleiben durfte, und den US-Wahlen 2020, bei denen massivst manipuliert worden ist, einen gewissen Argwohn hinsichtlich des Zustandes der Demokratie in der Westlichen Welt entwickelt hat, und deswegen nicht automatisch mehr allein den Prognosen mißtraut, sondern auch den später veröffentlichten, „tatsächlichen“ Ergebnissen, der hätte eigentlich nur eine Möglichkeit, festzustellen, welches Mißtrauen tendenziell das „berechtigtere“ ist, – das gegen die Prognosen oder das gegen die veröffentlichten Ergebnisse. Er muß untersuchen, wie groß die Diskrepanz zwischen Prognose und Ergebnis in der Vergangenheit gewesen ist – und ob die Landtagswahl in Sachsen-Anhalt diesbezüglich eine außergewöhnliche Spreizung darstellt.

Im Nachgang zur Bundestagswahl 2017 titelte die „Welt“ damals, daß die Demoskopen fast richtig gelegen hätten. Eine 2018 von statista veröffentlichte Prognose zur Landtagswahl in Bayern hingegen sagte für die CSU 48 Prozent voraus, SPD 19 Prozent, Grüne 10 Prozent und FDP 7 Prozent – und das war krass daneben. Tatsächlich erreichte die CSU statt der prognostizierte 48 Prozent lediglich 37, die SPD blieb sogar knapp unter 10 Prozent- und die Grünen lagen bei enormen 17 Prozent. Die FDP erreichte statt 7 Prozent nur knapp über 5 Prozent.

In Rheinland-Pfalz hingegen waren die Ergebnisse für die Landtagswahl 2021 wieder ziemlich zutreffend prognostiziert worden. Die Vorhersage vom 11.03.2021 sah die SPD bei 33 Prozent, die CDU bei 29 Prozent. Tatsächlich sah das Ergebnis drei Tage später so aus: SPD knapp 36 Prozent, CDU knapp 28 Prozent. Prognose und Ergebnis lagen hier also wieder dicht beisammen.

Tendenzielle Entwarnung

Die Diskrepanz zwischen Prognose und Ergebnis war in Bayern 2018 größer, als bei der gestrigen Landtagswahl in Sachsen-Anhalt 2021. Das legt nahe, daß Demoskopen auch angesichts der Diskrepanz zwischen zutreffenden und unzutreffenden Prognosen überflüssig sind, nicht nur wegen des undemokratischen Effekts der Wahlprognose als solcher. Die einzige andere Erklärung wäre die, daß überall da, wo Prognose und Ergebnis weit auseinander lagen, die Wahlen getürkt worden sein müssen. Das wäre allerdings eine sehr gewagte Unterstellung angesichts der demoskopieinternen Spökenkiekerei.

Unterstellt also, daß das Wahlergebnis aus Sachsen-Anhalt das tatsächliche Wahlverhalten wiedergibt, muß Alarmstimmung aus einem ganz anderen Grund herrschen. 37 Prozent für die CDU selbst in Sachsen-Anhalt sind ein Schlag in die Magengrube eines jeden, der bisher noch an die Lernfähigkeit deutscher Demokraten geglaubt hatte. Zusammengenommen hätten CDU und AfD eine sehr komfortable Mehrheit von 58 Prozent, um ein „konservatives Pilotprojekt“ in einem der Bundesländer zu starten. Leider scheint die CDU noch immer mit einer konservativen Partei verwechselt worden zu sein. Dieser Wählerirrtum führt dann dazu, daß Wähler, die eigentlich keine linke Politik befürworten, sich aufgrund ihres Irrtums hinsichtlich der CDU genau das zusammenwählen, was sie gar nicht haben wollten: Koalitionen, die einzig und allein dem Umstand geschuldet sind, daß niemand mit der zweitstärksten Partei koalieren will.

Lösungsvorschlag

Gäbe es eine Lösung für das Problem? – Ja. Nur beschlossen werden wird sie wohl kaum. Sie sähe folgendermaßen aus:

1. Entweder die stärkste Partei regiert alleine gegen eine Opposition, die sich ihrerseits untereinander befehdet, oder – wenn Koalitionen nicht grundsätzlich ausgeschlossen werden sollen -, sie koaliert mit der zweitstärksten Partei, weil das noch am ehesten dem Wählerwillen entspräche.

2. Das rudelbumsartige Koalitionsverhalten von jedem mit jedem außer der AfD muß beendet werden. Begründung: Politische Erfordernisse ergeben sich aus der Realität, nicht aus dem, worauf man sich einzig und allein wegen des undemokratischen Ausschlußes einer stark gewählten Partei einigen „mußte“. Für die Realität ist völlig egal, wie schön sich die „Parteidemokraten“ mit ihrem „bei-uns-kann-jeder-mit-jedem-außer-mit-der-AfD“ ihr eigenes Demokratieverständnis reden wollen. Es bleibt dennoch illusorisch, daß sie überhaupt eines hätten. Realiter ist egal, was solche „Demokraten“ schön finden. Die Altparteien geben mit ihrem Verhalten außerdem offen zu, daß sie gar nicht daran denken, den Willen des Wählers zu berücksichtigen. Vielmehr begreifen sie sich als dessen Vormund.

3. Die Demoskopen behalten ihre Wahlprognosen für sich.

4. Da der öffentlich-rechtliche Rundfunk großteils zu einem steuerfinanzierten Propagandafunk für die Grünen degeneriert ist, dennoch die Meinungsbildung betreibt und dadurch auch solche Parteien auf eine „grünliche Linie“ zwingt, die eigentlich keiner grünlichen Agenda folgen würden, muß der steuerfinanzierte, öffentlich-rechtliche Rundfunk abgeschafft werden.

5. In einem Land, in dem Wahlbeteiligungen von um die 60 Prozent noch immer als „demokratisch“ durchgehen, sollte man es sich leisten können, auch auf die Briefwahl zu verzichten. Der Wähler sollte tatsächlich persönlich im Wahllokal erscheinen müssen – und von dort einen Durchschlag seines Stimmzettels aufbewahrungspflichtig mit nach Hause nehmen, damit eine Überprüfung der Auszählung unabhängig von staatlich kontrollierten Stellen möglich wäre, wenn Anlaß dafür bestünde. Außerdem sollte das Wahlalter auf den Punkt angehoben werden, an dem bspw. das Jugendstrafrecht endet: Auf 21 Jahre. Es kann nicht angehen, daß dem Wähler einerseits „Unreife“ zu seinen Gunsten angerechnet wird, wenn er vor Gericht steht und das Jugendstrafrecht Anwendung findet, daß er aber andererseits als voll verantwortlicher Wähler durchgeht, wenn demokratische Entscheidungen Erwachsener gefragt sind.

6. Die Macht von Parteien muß prinzipiell drastisch beschränkt werden. Seit Jahren verwechseln sie sich nämlich selbst mit „die Demokratie“ resp. mit „der Staat“. Außerdem kann es nicht angehen, daß Parteien ihre eigenen Medienunternehmen über den Umfang einer einzigen Parteizeitung hinaus unterhalten. Die wiederum hätte deutlich als Parteizeitung markiert zu werden. Daß Parteimitglieder zu Richtern – besonders zu Verfassungsrichtern – werden können, ist ein absolutes Unding.

7. Lobbyismus hat sich der öffentlichen Kontrolle zu stellen. Es kann nicht länger angehen, daß sich Lobbyisten und Volksvertreter in irgendwelchen Hinterzimmern etwas zusammenmauscheln, von dem das Wahlvolk keine Ahnung hat. Sämtliche Nebentätigkeiten von gewählten Volksvertretern haben zu unterbleiben.

8. Die Diäten werden nicht mehr pauschal für alle Abgeordneten gleich festgelegt, sondern sie richten sich am Einzelfall aus. Der Abgeordnete bekommt genau das, was er auf seinem Lohnzettel stehen hatte, bevor er in ein Parlament eingezogen ist. Niemand braucht Volksvertreter, die zuvörderst ihre eigenen Karrieren befördern wollen.

Das, was aus der Landtagswahl 2021 in Sachsen-Anhalt als „Umsetzung des Wählerwillens“ hervorgehen wird, hat realiter mit dem Wählerwillen nichts mehr zu tun. Und Sachsen-Anhalt ist kein Einzelfall. Die deutsche Demokratie ist dringend renovierungsbedürftig.

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