Horst D. Deckert

Regierungskritiker? Deutscher Rentner muss wegen 95 Cent ins Gefängnis

Kaum zu glauben: eine Haftstrafe wegen 95 Cent. Auf eine nicht vollständig bezahlte Geldstrafe wegen zu schnellen Fahrens folgte eine lange Auseinandersetzung mit den Behörden, die schließlich mit einer Prügelei mit zwei Polizisten, die ihn in Beugehaft nehmen wollten, endete. Nun muss ein Rentner aus Ostercappeln (Landkreis Osnabrück) eine sechsmonatige Haftstrafe absitzen. Warum dieser Wahnsinn? Auf Nachfrage der NOZ erklärte die Staatsanwaltschaft, in „gewissen Kreisen“ vollstrecke man bis zum letzten Cent – zum Beispiel bei „Reichsbürgern“. Hatte der 67-Jährige es etwa gewagt, die Politik zu kritisieren?

Die wahrhaft kuriose Geschichte begann vor vier Jahren, als der Mann eine Geldstrafe in Höhe von 15 Euro für zu schnelles Fahren nicht vollständig bezahlte. Er überwies nur 14,05 Euro – die 95 Cent, die er an Überweisungsgebühren an seine Bank zahlen musste, zog er ab. Die lange Auseinandersetzung mit den Behörden endete damit, dass die Polizei den Rentner wegen des nicht gezahlten Kleinstbetrags in Beugehaft nehmen wollte. Er sollte für die fehlenden 95 Cent einen Tag im Gefängnis verbringen. Bei der Vollstreckung des Haftbefehls kam es dann zu einer Rangelei, bei der angeblich zwei Beamte verletzt wurden und der Rentner drei gebrochene Rippen davontrug.

Das Osnabrücker Amtsgericht verurteilte den 67-Jährigen zu einer sechsmonatigen Bewährungsstrafe, gegen die er Berufung einlegte. Doch das Landgericht schmetterte seine Berufungsklage ab, auch die Revision scheiterte. Das Landgericht verhängte gegen ihn wegen der Gewalt gegen Vollstreckungsbeamte eine sechsmonatige Bewährungsstrafe.

Inzwischen sind aus den ursprünglichen 95 Cent mehrere Tausend Euro geworden. Der Ostercappelner will aber weder die Gerichtskosten noch Schmerzensgeld an die verletzten Beamte bezahlen. Er erklärte, es gehe ihm ums Prinzip und darum, dass wegen 95 Cent „so ein Theater veranstaltet wird“. Er verlangt ein neues Gerichtsverfahren. Seiner Ansicht nach wäre gar nicht so weit gekommen, hätten die Behörden nicht die lächerlichen 95 Cent bei ihm durch die Polizei einziehen wollen. Zudem kritisierte er das Verhalten von Beamten und Richtern, er vermutet, dass einiges „da nicht mit rechten Dingen zugegangen ist“.

Warum pochte man auf 95 Cent? Staatsanwaltschaft bringt „Reichsbürger“ ins Spiel

Die 95 Cent sollen schon längst bezahlt worden sein: Die Tochter des Mannes hatte die Zahlung getätigt, als die Polizei mit dem Haftbefehl vor der Tür stand und den Senior in Beugehaft nehmen wollte.

Tatsächlich stellt sich die Frage, aus welchem Grund so hartnäckig auf die Zahlung der 95 Cent bestanden wurde. Auf Anfrage der „Neue Osnabrücker Zeitung“ (NOZ) erklärte eine Sprecherin der Stadt, dass es rechtlich zulässig wäre, eine Forderung bis zum letzten Cent zu verfolgen, grundsätzlich würden offene Kleinstbeträge aber nicht weiter verfolgt, solange sie sich nicht aufsummierten oder im besonderen Einzelfall ausnahmsweise eine Verfolgung geboten scheint.

Auf die Nachfrage, ob die Staatsanwaltschaft Osnabrück grundsätzlich Kleinstbeträge vollstrecken lasse, sagte der Oberstaatsanwalt: „In gewissen Kreisen schon. Beispielsweise in der sogenannten Reichsbürgerszene. Da vollstrecken wir bis zum letzten Cent.“

Inzwischen wurde die Bewährung widerrufen und der 67-Jährige muss die sechs Monate in der Justizvollzugsanstalt Lingen (Landkreis Emsland) absitzen. Er ließ sich widerstandslos abführen.

Das Vorgehen der Behörden wirkt völlig überzogen. Da soll ein Mann wegen 95 Cent in Beugehaft genommen werden – das ist angesichts der Zustände im „besten Deutschland“ nur mehr unfassbar. Das gilt erst recht für die Haftstrafe, die er nun absitzen muss. Dass die Staatsanwaltschaft mit „Reichsbürgern“ argumentiert, ist bezeichnend – schnell drängt sich der Verdacht auf, man wollte hier einen Regierungskritiker aus dem Verkehr ziehen. Selbstverständlich kann man einen Angriff auf Polizisten nicht gutheißen, man muss sich allerdings fragen, wie heftig die Beamten reagiert haben müssen, dass der Senior sich bei der Rangelei drei Rippen brach.

Vergewaltiger und Messerstecher bleiben oftmals auf freiem Fuß, aber ein wehrhafter Senior muss ins Gefängnis: Ist das dieses Deutschland, in dem die Bürger „gut und gerne“ leben? Wer stellt denn hier wirklich eine Bedrohung für die Bevölkerung dar? Letztlich kann man über den gesamten Vorfall, der die kafkaesken Zustände im Land aufzeigt, nur den Kopf schütteln.

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