Kontaktschuld und „Abstandhalten“, und zwar nicht aus Virusgründen, sind aktuell mal wieder ein großes Thema – und am Pranger steht derzeit die Werte-Union unter ihrem neuen Vorsitzenden Dr. Max Otte. Die Naserümpfer und Ankläger kommen dabei allerdings nicht aus dem Linksparteienblock (dem – abgesehen von einem Saum konservativ-liberaler, christlich geprägter Restsubstanz – die Union selbst angehört). Sondern sie kommt paradoxerweise ausgerechnet aus der Werte-Union selbst: Von jenen also, die genau für das seit Jahren gekreuzigt werden, was sie dem neuen Präsidenten Otte jetzt unterstellen: angeblich zu geringe Nähe zu AfD oder „völkische“ Ideologien. Hier ist vor allem Hans-Georg Maaßen zu nennen, der sich mit seiner Abkehr von Otte gekonnt zwischen alle Stühle setzt.
Nachdem er mit der Werte-Union bisher dagegen stritt, dass die CDU inhaltlich vollends an Kontur verliert und die politische Mitte immer stärker anderen Parteien von Rechts preisgegeben wird, sieht Maaßen jetzt plötzlich die Werte der Union selbst in Gefahr: „Der konservativ-liberale Flügel der CDU ist erlahmt„, so der ehemalige Verfassungsschutzchef gegenüber der „Welt„. Diesen zu stärken sei das eine, doch „eine Brandmauer“ gegen die AfD zu bilden sei das andere, auf das es ankomme. Ob Maaßen, der für die Union in Südthingen als Bundestagskandidat antritt, mit solchen Ab- und Ausgrenzungsparolen ausgerechnet im Osten punkten kann?
Alle Verrenkungen Maaßens, sich von inakzeptablen oder „bedenklichen“ Positionen demonstrativ fernzuhalten und auf Abstand zu Otte zu gehen, weil ihm dieser plötzlich ein Ticken zu AfD-affin ist, stellen den künstlichen Versuch einer Selbstdistanzierung dar, die Misstrauen schürt und seine Glaubwürdigkeit auf allen Seiten schmälert. Die einen – seine Anhänger, die in ihm bisher einen Hoffnungsträger des Konservatismus sehen, vor allem aber die derzeitigen AfD-Wechselwähler, die er doch angeblich versucht, in den Schoß der CDU/CSU zurückzuführen – stößt er mit seiner Entscheidung, die Mitgliedschaft in der Werte-Union ruhen zu lassen, vor den Kopf – indem er plötzlich selbst in spalterischen Kategorien von Mauern und roten Linien denkt.
Die anderen – Maaßens eigene „Parteifreunde“ von Links und die rotrotgrünen Antipoden – werden in ihm jedoch weiterhin ein AfD-„U-Boot“ sehen, einen „Rechtsextremen“ oder Hetzer. Selbst wenn er morgen bei den Linken einträte – niemand kauft ihm ab, zur „guten Seite der Macht“ zurückgekehrt zu sein. Sollte es wirklich Maaßens Kalkül gewesen sein, sich mit der demonstrativen Abgrenzung von Otte bei der eigenen Parteimehrheit anbiedern zu wollen und für alle „wählbarer“ zu machen, so so wird er schnell die Erfahrung all jener machen, die da glauben, Anbiederung an die sogenannten „Gemäßigten“ des linken Mainstreams würde lobend vermerkt und die politische „Seriosität“ steigern: Das genaue Gegenteil ist der Fall. Rechte Sünden verjähren nicht. Die Linke verzeiht und sie vergisst nicht – außer es handelt sich um die „Jugendsünden“ des eigenen Lagers, wo Steineschmeißer, Fanboys kommunistischer Diktatoren und Massenmörder, RAF-Sympathisanten und sogar einstige kriminelle Verfassungsfeinde in höchste politische Ämter gelangen können.
Rechte Sünden verjähren nicht
Gerade Maaßen plädiert seit Monaten mit Engelszungen für mehr Sachlichkeit und Inhaltlichkeit in der Politik – und klagt über Etiketten, die ihm und Gleichgesinnten polemisch angeheftet würden. Nun stellt er im Fall Otte selbst das Labeling und die Toxizität verfänglicher Kontakte und Netzwerke über das Gesagte und Vertretene; dabei sollte doch nur zählen, wofür politisch jemand eintritt – und nicht, von wem er dafür Applaus erhält, wo jemand Vortragsredner war oder mit wem er irgendwann im selben Raum saß. Abgesehen davon: Ob die Schnittmenge von Ottes Ansichten mit AfD-Positionen tatsächlich größer ist als die von Maaßen, ist ohnehin fraglich.
Denselben Vorwurf muss sich auch Ottes Vorgänger als Chef der Werte-Union, Alexander Mitsch, gefallen lassen, der jetzt ebenfalls von Otte demonstrativ „Abgrenzung von der AfD“ fordert – und damit genau die Bürger und Wähler vergrault, die nach oft jahrzehntelanger Treue und einer schmerzhaften Entfremdungsgeschichte den geistigen Rubikon überschritten und der Union schweren Herzens den Rücken in Richtung AfD gekehrt haben, weil sie in einer unter Angela Merkel an Haupt und Glieder amputierten, und ideell pervertierten grüngeklonten Union keine politische Heimat mehr fanden.
Der Glaubwürdigkeit der Werte-Union wird damit ein Bärendienst erwiesen, wenn sich nun ihre eigenen bisherigen Spitzenvertreter genauso anhören wie die unionsinternen und -externen Todfeinde dieser Gruppierung. Die Außenwirkung ist die: Die anderen hatten recht – wir sind tatsächlich rechtsradikal, oder laufen Gefahr, es zu werden. Überhaupt ist dies anscheinend die einzige panische Sorge, die Leitneurose der Union seit vielen Jahren: von den Zeremonienmeistern des Juste Milieu am Ende für zu nationalistisch, zu völkisch und damit zu rechts (gleich rechtsextrem) gehalten zu werden. Es ist eine völlig falsche Debattenentwicklung – und am unglaubwürdigsten machen sich dabei jetzt ausgerechnet Maaßen und Konsorten. Leider.
Kronzeuge der linken Inquisition
Denn mit ausgerechnet diesen bislang scheinbar zeitgeistresistenten Schwergewichten als nun so wahrgenommene Renegaten und „Kronzeugen“ einer Lesart, die verhetzende Gleichsetzung von Werte-Union mit AfD und damit Antidemokraten und „Rechtsradikalen“ sei eben doch stets berechtigt gewesen, blasen nun konformistischen Teile der Mehrheits-CDU und die Parteiführung zum großen Halali auf die Werte-Union – und fordern ein härteres Vorgehen gegen sie, die gar keinen offiziellen Gremienstatus hat. „Die CDU sollte auf ihrem nächsten Bundesparteitag einen Unvereinbarkeitsbeschluss für Mitglieder der Werte-Union verabschieden„, sagte etwa Uwe Schummer, Chef der Arbeitnehmergruppe der Unionsfraktion, zum „Spiegel„.
Ähnlich äußerte sich der Europaabgeordnete Dennis Radtke: „Ich fände das sehr gut, wenn die CDU auf ihrem nächsten Bundesparteitag nachziehen würde mit einem Beschluss, der die Unvereinbarkeit zu einer Mitgliedschaft in der Werte-Union feststellt.“ Radtke bezog sich dabei auf einen entsprechenden Beschluss des CDA-Bundesvorstands aus dem September 2018, in dem sich die Arbeitnehmervereinigung der Unionsparteien deutlich von der Werte-Union abgegrenzt hatte.
Ebenso nehmen Forderungen der linksgespülten CDU-Basis zu, gegen den renommierten Ökonomen Otte endlich ein Parteiausschlussverfahren einzuleiten – denn seine Wahl sei das Indiz für eine weitere Radikalisierung und Öffnung der Werte-Union zur AfD. CDU-Chef Armin Laschet war zuletzt zwar deutlich auf Distanz zu Otte gegangen – ein Parteiausschlussverfahren lehnt er jedoch derzeit noch „aufgrund der hohen Hürden“ ab. Das Problem bei einem Parteiordnungsverfahren gegen Otte sei, „dass es viel zu lange dauert und ihm entsprechend weitere Profilierungsmöglichkeiten geben würde„, sagt auch MdB Schummer. Seine Attacken gegen Otte nähern sich allerdings dem Tonfall der SPD-Spitzenfunktionäre gegen Thilo Sarrazin weiland an: „Klar ist aus meiner Sicht, dass Leute wie Otte in der CDU nichts zu suchen haben.“ Wer solche Parteifreunde hat, braucht keine Feinde mehr.
Otte – der neue Sarrazin?
Was sich jedoch auch Laschet nicht nehmen ließ, ist ein mahnender Appell zu einer „scharfen Abgrenzung gegenüber der AfD„; für ihn sei klar: „Jede Annäherung an die AfD ist mit der CDU nicht zu machen„, so der CDU-Chef gegenüber Medienvertretern. „Wer das tut, kann die CDU verlassen.“ Über die Werte-Union insgesamt äußerte sich Laschet mehr als abfällig: Sie sei „kein Teil der Union„, sie stehe „außerhalb der Partei“ und sei auch „nicht repräsentativ für den konservativen Teil der Union„.
Und wie Merkel zeigt sich Laschet blind und uneinsichtig dafür, was bis heute der eigentliche, ja einzige Grund für das Entstehen und Erstarken der AfD war – nämlich die Vergraulung breiter bürgerlicher und konservativer Wählerschichten durch eine zur linksgrünen Sammelbewegung mutierte Union. Es sei eine „Fehlannahme“ zu glauben, AfD-Wähler wechselten besonders häufig von der CDU ins AfD-Lager, so Laschet. „Die AfD-Wähler kommen nicht überwiegend von der CDU. Viele wandern aus Protest von ganz links nach ganz rechts„. Ein nicht nur von Politologen und Demoskopen längst widerlegter Mythos, der so tut, als hätten rechtsradikale Marsmenschen eine Partei rechts der Union erschaffen.
Vor dieser Dämonisierung der AfD als eine Art Alien-Artefakt, der mit seiner Rückzugsbegründung nun sogar Maaßen (ob gewollt oder nicht) Vorschub leistet, hatte ausgerechnet der Laschet unterlegene CDU-Politiker Friedrich Merz dieser Tage eindringlich gewarnt – und sich vor allem an den unsäglichen Anfeindungen des „Ostbeauftragten“ der Bundesregierung, Marco Wanderwitz (CDU), gestört: Statt Wähler der AfD „pauschal zu beschimpfen„, so Merz zu „Bild„, sollte man sich mit den Gründen für den Erfolg der AfD befassen. Es gehe darum, warum die AfD überhaupt gegründet wurde und warum die CDU so viele Stimmen an sie verliere. Damit widerspricht Merz explizit Laschets These von der radikalen Links-Rechts-Stimmenwanderung – denn natürlich ist die AfD die logische Konsequenz eines politischen Lagerwechsels der Union.
Die AfD als Alien-Partei?
Mit seinem plötzlichen Anti-AfD-Profilierungseifer hat Maaßen auch dem Koalitionspartner SPD Aufwind verschafft, noch schamloser für die weitere Verengung des zulässigen politischen Spektrums zu werben – natürlich durch Stigmatisierung und Kriminalisierung der (abgesehen von Teilen der FDP) einzigen Realopposition im Land, als deren Brückenkopf die Werte-Union der Linken seit langem gilt. SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil nutzt die Otte-Wahl, um Schummers und Radtkes Ball weiterzuspielen – und die CDU zu einer generellen Unvereinbarkeitserklärung mit der Werte-Union zu drängen.
Diese unheilvolle Tendenz, immer weitere Teile des Meinungsspektrums gar nicht mehr inhaltlich zu stellen, sondern ihnen die Daseinsberechtigung abzusprechen und „Demokratie“ nur innerhalb eines sich rasant verschmälernden Fensters zu definieren, ist ein untrügliches Indiz, wie sehr diese Republik ins Linksextreme abgerutscht ist. Selbst Konservative, die auf Ämter und damit die eigene „Wählbarkeit“, auf die Akzeptanz durch Institutionen, Medien und Eliten der Mehrheitsgesellschaft schielen, verlieren ihr Rückgrat und vertiefen die Gräben aus lauter Angst, selbst darin verschluckt zu werden. (DM)