Horst D. Deckert

Was würden die Ungarn sagen, wenn … ?

Von Irén Rab

 

Was würden die ungarischen Rentner sagen, wenn sie dieses Jahr, in diesem verfluchten Pandemiejahr, unter Berufung auf die schlechten wirtschaftlichen Daten vom letzten Jahr keine Rentenerhöhung, Aufstockung, Rentnerprämie bekämen und auch das Versprechen einer dreizehnten Monatsrente nicht existieren würde? Ich glaube kaum, dass sie sich so leicht mit der eigentlich einleuchtenden Erklärung zufriedengeben würden, obwohl die Pandemie die Wirtschaft der meisten Länder ruiniert hat und noch dazu die EU auch die Auszahlung des für Ungarn zustehenden Geldes aus dem Corona-Hilfspaket zurückhält.

Für die Deutschen begann aber die Überweisung ihres 25 Milliarden Euro hohen Anteils aus diesem Fonds bereits im August, denn Deutschland ist ein Rechtsstaat, da gibt es keine Fragezeichen, keine Korruption, man muss nicht befürchten, dass das Geld in falsche Kanäle gerät. Die Deutschen haben großes Glück, dass sie keinen einzigen Abgeordneten im Europäischen Parlament haben, der andauernd gegen das eigene Land intrigiert. Von dem Geld des Hilfspaketes werden die deutschen Rentner bestimmt nichts abbekommen, weil die Rentenerhöhung – im Hinblick auf die Wirtschaftsdaten – dieses Jahr ausbleibt und Prämien, sowie eine dreizehnte Monatsrente sowieso nicht existieren. Genauer gesagt, den Rentnern in der ehemaligen DDR wurde als Kompensation eine winzige Erhöhung, nämlich 0,72%, zugestanden, denn

in den neuen Bundesländern sind die Lohntarife und auch das Arbeitslosengeld, sowie die Rentenbasis 31 Jahre nach der deutschen Wiedervereinigung immer noch niedriger.

Die deutsche Gesellschaft ist bekannterweise überaltert, fast 22 Millionen Menschen bekommen eine Altersversorgung, von der die Krankenversicherung einen Beitrag erhält und die auch noch vom Staat besteuert wird. Die Durchschnittsrente ist zudem nicht üppig, im Großen und Ganzen ca. eintausend Euro, und es besteht selbstverständlich ein Unterschied zwischen der ostdeutschen und westdeutschen Durchschnittsrente zu Gunsten der letzteren. Auch die Gleichheit unter den Geschlechtern ist nicht gewährleistet, weil die Zahlungen an die Frauen gegenüber den Männern niedriger ausfallen. Vom dritten Geschlecht mit den vielen Buchstaben (LGBTQI etc.) gibt es bisher keine Daten, sie sind noch viel zu jung, um in den Genuss dieser Versorgung zu kommen.

Mit einem Wort, ich weiß nicht, wenn es in Ungarn wäre, was jetzt in Deutschland gibt, wie die Opposition die Rentner wegen einer ausbleibenden Rentenerhöhung und wegen der möglichen Steuer- und Beitragspflicht gegen die Orbán-Regierung aufhetzen würde?

Was würden eigentlich die ungarischen Haushalte sagen, wenn die Wohnnebenkosten plötzlich in die Höhe stiegen, sagen wir mal, auf das Dreifache. Denn der Gaspreis an der Börse hat eine Rekordhöhe erklommen, die Einkaufspreise sind gegenüber dem letzten Jahr auf das Fünffache gestiegen. Die Deutschen befürchten, dass das Gas in den Lagerstätten ausgeht, sodass sie dann nur zu viel höheren Preisen ihre Vorräte besorgen können, was aber einen Anstieg der Verbraucherpreise nach sich ziehen würde. Energie war auch bisher nicht billig in Deutschland, für einen Durchschnittshaushalt kosteten Gas und Strom 2400 Euro auf das Jahr bezogen. Den über die steigenden Nebenkosten klagenden Menschen riet die EP-Abgeordnete der SPD, Frau Barley, eine Parteigenossin und gute Freundin von Klara Dobrev (eine Spitzenkandidatin der ungarischen Opposition) im Europaparlament, mit besonderem sozialem Einfühlungsvermögen, dass sie nicht heizen und nicht das Licht einschalten sollen, dann werden sie auch keine Nebenkosten haben. Einen so guten Ratschlag habe ich in Ungarn aus dem Mund keines Regierungsangestellten gehört,

in Ungarn wird nur erklärt, dass die Energiepreise dank der Nebenkostenbezuschussung der Orbán-Regierungen seit zehn Jahren unverändert geblieben sind und es auch weiterhin bleiben.

Ich kann mich erinnern, dass meine ungarischen Wohnnebenkosten Anfang der 2000-er Jahre die deutschen deutlich überstiegen, die Energieabrechnung fiel in Ungarn höher aus, das Telefon war teurer, die Kreditzinsen viel höher und die Bankgebühren ebenso, obwohl der Energiesektor, die Dienstanbieter, die Banken waren damals in deutschen Händen in Ungarn. Es dauerte eine Woche, bis mein überwiesenes Geld auf mein ungarisches Bankkonto gutgeschrieben wurde. Als ich nachfragte, klärte mich der freundliche Bankmitarbeiter auf, dass das Geld da wäre, er könne es sehen, aber es sei noch nicht gutgeschrieben worden. Auf gut Deutsch heißt das, die Bank benutzte mein Geld eine Woche lang unrechtmäßig. Wahrscheinlich spielte der Broker Kulcsár eine Woche lang damit seine Tricks, den Börsengewinn brachte dann der Taxifahrer Gyuszi in einer Aktentasche zu den Begünstigten. (Das war der größte Broker- und Korruptionsskandal der damaligen Zeiten.) Jetzt bleibt für solche Geschäfte keine Zeit und keine Chance mehr, es herrscht Disziplin in der Finanzwelt, eine Überweisung kommt in Sekunden auf dem Konto an, egal, woher das Geld überwiesen wurde.

Was würden die Einwohner von Budapest sagen, wenn die Partei „Momentum“ oder eine ähnliche grün-liberale Bewegung oder eventuell jemand persönlich

eine Volksabstimmung über die Enteignung der im Privatbesitz befindlichen Wohnungen in Budapest initiieren würde,

wie das vor einigen Wochen in Berlin geschah. Es wird die Verstaatlichung von mehr als zweihundertvierzigtausend Wohnungen gefordert, den großen Wohnbaukonzernen soll das Eigentumsrecht entzogen werden. In Berlin gibt es private Wohnungsbaukonzerne, die die Wohnungen vermieten, diese wären von einer Enteignung betroffen, sie sind es, die jetzt zittern müssen. Sie versprechen nun auch Himmel und Erde, die Einfrierung der Mieten für fünf Jahre, den Bau von neuen, billigeren Wohnungen. All das ist vergebens, weil „die Menschen in Berlin sich entschieden haben“ – sagt der Sprecher von dem die Volksabstimmung initiierenden „Verein für mehr Demokratie“ – und der Volkswille steht über jeglichem Gesetz. Und tatsächlich.

Eine Million Berliner, 56 Prozent der Wähler, votierten für die Enteignung.

Berlin ist nicht nur für Deutschland, sondern für ganz Europa die „Multikulti“-Hauptstadt, wo die postmodernen 68-er Hippies und die vielfarbigen, progressiven Jugendlichen mit vielerlei Identität in autonomem Einklang leben. Sie fühlen sich gestört von der traditionellen bürgerlichen Welt- und Werteordnung, weshalb sie die gesellschaftlichen Ungleichheiten beseitigen und die nach ihrer Meinung ungerechte Welt umkrempeln wollen. Von den Reichen wegnehmen, was sie besitzen, und unter den Bedürftigen verteilen. Wie einst die ehemaligen roten Kommunisten in den Ostblockstaaten, jetzt mit grünem Anstrich, weil sie damit bekannterweise auch für die Rettung der Erde kämpfen. Jetzt wollen sie die Wohnbaukonzerne enteignen, dann alle Wohnungen von ihren rechtmäßigen Besitzern wegnehmen und die Güter neu verteilen. Sie pfeifen auf die Verfassungsmäßigkeit, sie setzen sich über Gesetze hinweg und gehen auf die Straße, wenn ihnen danach ist. In Berlin sind Demos, Straßenkämpfe, die Bekämpfung der Polizei, brennende Barrikaden und angezündete Autos an der Tagesordnung. Einen Anlass findet man immer. Die Gewalt, die Zerstörung kommt meistens von der linksautonomen Szene. Die Stadt Berlin wird auch von einer linken rot-rot-grünen Koalition regiert, diese wurde jetzt mit 62 Prozent erneut gewählt, obwohl rund um die Wahlen ziemlich viele Unrechtmäßigkeiten, Betrüge zu Tage kamen.

Was würden die sich ein eigenes Haus wünschenden Ungarn sagen, wenn einer Parteiwille plötzlich das Bauprogramm für das eigene Haus nicht mehr unterstützen?

Es würde gleich verbieten, weil ein Einfamilienhaus viel zu teuer und energieintensiv wäre, außerdem hätte niemand das Recht auf einen so großen privaten Lebensbereich. Das ist auch ein Teil des Programms der deutschen Grünen, genauso wie die Enteignung, und wer weiß, wieviel davon verwirklicht wird, wenn die rot-gelb-grüne „Ampelkoalition“ zustande kommt. (Wir haben so etwas in Ungarn schon erlebt, als die Parteiführung den Wohnbedarf des Volkes festlegte. Für eine vierköpfige Familie waren zwei Zimmer oder ein Zimmer mit zwei Halbzimmern vorgeschrieben und auch gebaut worden.)

  • Was würden die ungarischen Staatsbürger sagen, wenn die schwer errungene Sicherheit des Privateigentums erneut verloren ginge?
  • Was würden die Ungarn sagen, wenn die durch die Opposition versprochene Abrechnung Wirklichkeit würde, wenn die verfassungsmäßige Ordnung, die Garantien des Rechtsstaates in Gefahr geraten würden? Wenn die Volksabstimmung der manipulierten Massen, die so genannte direkte Demokratie, das Grundgesetz wegwischen würde?
  • Was würden die Ungarn sagen, wenn die strategisch wichtigen Wirtschaftszweige erneut in ausländische Hand geraten würden, wenn das durch den IWF frisch prognostizierte, zu der europäischen Spitze zählende, 7,6‑prozentige Wirtschaftswachstum mit der pseudolinken Machtübernahme plötzlich abstürzen würde?
  • Ich weiß nicht, was die Menschen in Budapest sagen würden, wenn ihre Stadt von den an Oktober 2006 erinnernden Unruhen auf den Straßen laut werden würde, wenn die öffentliche Sicherheit dahin wäre, wie das in den europäischen Großstädten zu erleben ist?
  • Und ich weiß nicht, was die ungarischen Oppositionsparteien, die ganze sog. Regenbogenkoalition, sagen würde, wenn sich die Verfassungsschutz (verständlicher ausgedrückt: der Geheimdienst) sie auf Artikel 59 des Grundgesetzes berufend für extremistisch und nationalfeindlich einstufen würde, wie die Deutschen es mit der AfD machen? Wenn ihre Politiker nach deutschem Vorbild beobachtet werden würden, wenn die jungen Aktivisten der Regierungspartei ihre Stände zur Vorwahl umstürzen und damit den ganzen Flohzirkus des Vorwahlkampfes unmöglich machen würden?

Zu diesem letzten Punkt kenne ich aber die Antwort: die ungarische Opposition würde hilfesuchend nach Brüssel rennen, weil in Ungarn ihrer Meinung nach Diktatur herrscht und die demokratische Rechtsordnung wie auch die Menschenwürde sich in Gefahr befinden.   

Die Autorin, Dr. phil. Irén Rab, ist Kulturhistorikerin.

Dieser Beitrag erschien zuerst bei MAGYAR HÍRLAP

und in deutscher Übersetzung von Gábor Bayor bei UNGARNREAL, unserem Partner in der EUROPÄISCHEN MEDIENKOOPERATION.


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