Horst D. Deckert

Im Sueskanal tritt der Schlimmstfall ein

Gerade berichtet die Daily Mail von den Bergungsarbeiten im Sueskanal. Aktuell stehen 150 Frachtschiffe im Stau, nachdem das aufgelaufene Schiff bislang noch kein Stück bewegt werden konnte. Laut den für die Bergung zuständigen Offiziellen könnte es Wochen dauern, bis die Passage wieder frei ist. Damit wird der globale Warenhandel zwischen Europa und Asien heftig getroffen, da es profitabel wird, die Route um das Horn von Afrika zu nehmen, was auch die Daily Mail anspricht. Insgesamt 8% der EU-Wirtschaftsleistung werden in Mitleidenschaft gezogen.

 

Betroffen ist vor allem Europa

 

Insgesamt laufen 10% des globalen Warenverkehrs auf dem Meer über den Sueskanal und 30% des Containertransports. Die allermeisten über den Kanal transportierten Waren allerdings stammen aus Europa oder haben den Kontinent als Bestimmungsziel.

Im Jahr 2017 lieferten alleine die bedeutendsten Handelspartner von jenseits des Sueskanals circa 650 Milliarden Euro in EU, die Exporte dorthin beliefen sich 500 Milliarden Euro. Pro Tag sind damit abzüglich des Dienstleistungsanteils schätzungsweise Waren im Wert von zwei Milliarden Euro betroffen. Von diesen wird jeweils die Hälfte den Kontinent nur mit einem erheblichen Preisaufschlag und einer mindestens zweiwöchigen Zeitverzögerung verlassen oder erreichen können.

Insgesamt sind damit circa 8% der EU-Wirtschaftsleistung betroffen. In den kommenden sechs bis acht Wochen muss daher stellenweise mit Versorgungsengpässen gerechnet werden, bis der Warenhandel wieder in die gewohnten Bahnen gelenkt werden kann.

Eine gute Nachricht ist, dass sich die Kalamität im Sueskanal nur bedingt auf die Ölversorgung für die EU und den Rest des Kontinents auswirken wird. Zwar werden aus Saudiarabien und Malaysia jährlich Waren im Wert von 40 Milliarden Euro in die EU importiert, von denen das meiste vermutlich Öl ist. Allerdings wird das meiste Öl für die EU per Pipeline geliefert, während in der EU jährlich Öl im Wert von circa 250 Milliarden verarbeitet wird. Insofern dürften sich die Verwerfungen in dieser Hinsicht in Grenzen halten.

Der DAX hat bislang noch nicht auf die schlechte Nachricht reagiert. Sollte sich die fortdauernde Bergung allerdings bestätigen – und sich überdies meine Vermutung über die Ölversorgung als falsch erweisen – dann werden auch die Märkte einen heftigen Schaden nehmen, und das mit möglicherweise mit dramatischen Konsequenzen für die Finanzwirtschaft als ganzes.

 

Weitere Indikatoren für die Dauer der Bergung

 

Noch könnte die Sache schnell wieder zu Ende gehen. Falls jedoch damit begonnen wird, das Schiff leichter zu machen, indem der Treibstofftank geleert und beispielsweise eine provisorische Brücke von Land zum Schiff gebaut wird, um die Container abzuladen, dann wird es absehbar sehr lange dauern.

Der Querschnitt des Kanals jedenfalls deutet darauf hin, dass es so kommen könnte. Das Containerschiff kann über 200.000 Tonnen laden und ist damit exorbitant schwer. Es sieht ganz danach aus, als hätte sich der Bug so tief in die Böschung des Kanals eingegraben, dass es kaum mehr mit klassischen Schlepperbooten oder auch einer Armee schwerer Traktoren oder Panzer an Land herausgezogen werden kann.

Selbst unter der Annahme, dass die Entladung pro Container nur eine Minute dauern würde, würde das Entladen aller circa 20.000 Container des Schiffs über 14 Tage in Anspruch nehmen. Neben der Zeit, die eine solche Operationen benötigt, wäre sie aufgrund der notwendigen Improvisation trotz der Nähe zum Ufer sehr teuer und langwierig, wobei am am Ende alles wieder abgebaut werden müsste, bevor es weitergehen kann. Hinzu kommt das Risiko, dass noch einmal etwas schief geht und etwa aufgrund der teils starken Winde über dem Kanal die Container oder das geladene Öl im Wasser landen.

Quelle Titelbild

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