Horst D. Deckert

Viel Wirbel um AstraZeneca in der spanischsprachigen Welt.

Über den Impfstoff AZD1222 von AstraZeneca redet derzeit die ganze Welt. Während europäische Länder schon eigene Erfahrungen damit machen mussten, geht der «Labortest» am lebenden Objekt in einigen spanischsprachigen Ländern gerade erst los.

In Mexiko ist nach einer AstraZeneca-Impfung der erste schwere Fall einer Sinusvenenthrombose aufgetreten. Dies berichtete die auflagenstärkste Tageszeitung El Universal, die ihre Leser auch wissen liess, dass der 94-jährige Mann in den ersten zwei Tagen nach der Impfung über Müdigkeit und Appetitlosigkeit geklagt habe. Die besorgte Familie habe ihn ins Krankenhaus gebracht, wo man ihn nach ersten Untersuchungen stationär aufnahm, weil er das Bild «einer induzierten Thrombozytopenie zeigte, die durch den Impfstoff ausgelöst wurde».

Der behandelnde Arzt erklärte gegenüber El Universal, dass der Patient bei seiner Einlieferung «sehr niedrige Blutplättchen-Werte hatte: 17’000 — während der Normalwert bei 150’000 liegt». Deshalb wurde eine Behandlung mit intravenösem Immunglobulin eingeleitet, die zu einer Verbesserung des Gesundheitszustands beitragen konnte.

Er wolle keinen Impfstoff diskreditieren, sagte der Mediziner, aber es sei notwendig, dass die Behörden «die Angelegenheit überprüfen und nicht einfach abtun».

Der mexikanische Unterstaatssekretär für Prävention und Gesundheitsförderung, Hugo Lopez-Gatell Ramirez, erklärte daraufhin, dass die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) zwar darüber informiert, dass es nach AstraZeneca-Impfungen bereits zu vereinzelten Fällen von venösen Thrombosen gekommen ist, diese aber «sehr, sehr selten, sehr, sehr selten sind».

Präsident Andrés Manuel López Obrador ging sogar noch einen Schritt weiter, er betonte in den Medien, AZD1222 «ist sicher und wird weiterhin eingesetzt».

Und während in Mexiko der erste schwere Impfschaden zu beklagen ist, gab die Nationale Kommission für Impfung und Epidemiologie (CNVE) in Costa Rica grünes Licht für die Verwendung des AstraZeneca-Vakzins. Alle Personen ab 18 Jahren sollen damit immunisiert werden, ohne Alters- oder Geschlechtsbeschränkung. Eine Ausnahme gilt für schwangere und stillende Frauen.

In Spanien, wo bereits über zwei Millionen Bürger die erste Dosis des AstraZeneca-Impfstoffs erhalten haben, kündigte Gesundheitsministerin Carolina Darias kürzlich an, dass diese Impfkandidaten als zweite Dosis einen anderen Wirkstoff erhalten können. Auch will man ab sofort nur noch Personen über 60 mit dem Produkt impfen. Bis dato wurde AZD1222 an Personen im Alter zwischen 18 und 65 Jahren sowie an über 65-jährige, noch berufstätige Menschen verabreicht, die in wichtigen Sektoren arbeiten.

«Es ist 70-mal wahrscheinlicher, dass ein über 60-Jähriger auf die Intensivstation eingeliefert wird, weil er nicht geimpft wurde, als dass er durch den AstraZeneca-Impfstoff eine Thrombose erleidet», verkündete El Diario. Das spanische Online-Portal hatte sich vor Jahren den Slogan «Periodismo a pesar de todo» (Journalismus trotz allem) auf die Fahne geschrieben, womit man die Leser wissen lassen wollte, dass man sich der Qualität verpflichtet fühle. Ein Anspruch, den man in Corona-Zeiten leider sausen liess.

Eine ebenso undifferenzierte Meinung wurde am 9. April in den sozialen Medien und auf der Website des Portals Fundación para la Libertad (Stiftung für die Freiheit) in Umlauf gebracht. Unter dem Titel «Für mich AstraZeneca, bitte», erschien dort ein Text des politischen Analysten Ignacio Varela, der auch im Finanz- und Wirtschaftsportal El Confidencial publiziert wurde.

«Die Wahrscheinlichkeit, an einem solchen Impfstoff zu sterben, ist viel geringer als die eines tödlichen Flugzeugunfalls (geschweige denn eines Auto- oder gar Fahrradunfalls)», schrieb Varela und verglich die Gefährlichkeit der AstraZeneca-Nebenwirkungen mit denen des populärsten Medikaments der Welt: dem Aspirin.

Gleich darauf machte sich Varela zum direkten Sprachrohr der Europäischen Arzneimittelagentur, die er als Institution betrachtet, die «in ihren Massstäben nicht gerade lax ist»:

«Es wird geschätzt, dass für jede Million Menschen, die mit AstraZeneca geimpft werden, 120’000 Infektionen, 4100 Krankenhauseinweisungen und 800 Todesfälle vermieden werden. Die Zahl der Menschenleben, die dieser Impfstoff retten kann, ist 800-mal höher als die Zahl der Todesfälle aufgrund seiner möglichen – wenn auch sehr unwahrscheinlichen – Nebenwirkungen.» Der Nutzen bei der Anwendung des Impfstoffs übersteige die Risiken «bei weitem».

Und Varela fuhr fort: «Es gibt viele dunkle Stellen in der kollektiven Psychose, die sich um den britischen Impfstoff ranken, aber keine davon ist wissenschaftlichen Ursprungs.» Die Entdeckung von mehreren hochwirksamen Impfstoffen gegen das Coronavirus innerhalb von acht Monaten werde als eine der «kolossalsten wissenschaftlichen Leistungen in die Geschichte der Menschheit eingehen».

Varela fand auch eine Erklärung dafür, warum der AstraZeneca-Impfstoff derzeit so in der Kritik steht: das «unerbittliche Gesetz des Marktes». Für ein paar Monate habe man den Wettbewerb im Bereich der biomedizinischen Forschung ausgesetzt, aber sobald die rettenden Impfstoffe gefunden waren und die Zeit kam, sie zu produzieren und zu verkaufen, sei dieser «Waffenstillstand» aufgehoben worden.

«Der Schlüssel in diesem Kampf ist der Stückpreis der einzelnen Impfstoffe. Derzeit kostet eine Dosis des Moderna-Impfstoffs rund 50 Euro, die von Pfizer etwa 35 Euro und die von AstraZeneca rund sechs Euro.» Der Preisunterschied sei so «ausserordentlich», dass der Impfstoff «den Weltmarkt mit Leichtigkeit aufgefressen hätte, wäre er nicht brutalen Schikanen ausgesetzt worden. Mit dem Ziel, Angst und Misstrauen zu säen».

Und Varela war sich nicht zu schade, noch einen Höhepunkt zu setzen: «Dass der Ruf des AstraZeneca-Impfstoffs zerstört wurde, wird für die reiche Welt sehr ernste Folgen haben, für die armen Länder jedoch tragische.» Aufgrund seines Preises und seiner Konservierungs- und Vertriebsbedingungen sei AZD1222 der einzige Impfstoff, der in den am wenigsten entwickelten Ländern Afrikas, Asiens und Lateinamerikas verabreicht und massenhaft angewendet werden könne.

In aller Eindringlichkeit richtete der politische Analyst seinen Appell an die spanische Regierung, den Impfstoff unbedingt weiterzuverwenden:

«Wie viele Menschenleben wird es kosten, wenn das Produkt für grosse Bevölkerungsgruppen gesperrt wird; wie gross wird die Verzögerung bei der Umsetzung der Impfpläne sein, und was wird man mit den bereits bezahlten und gelieferten Dosen machen, wenn die Impfung in den Altersklassen, in denen sie erlaubt ist, abgeschlossen ist?»

Varela beendete seinen Artikel mit diesen Worten: «In der Zwischenzeit, wenn Sie ihn nicht wollen, ich schon. Wenn man mich morgen anruft, um mir AstraZeneca zu spritzen, werde ich mich doppelt freuen: Als potenziell Betroffener und als Steuerzahler, mit dessen Geld diese Kampagne zur nationalen Rettung finanziert wird.»

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